Ghost of Tsushima

Ghost of Tsushima



Der japanische Schwanengesang auf eine beispiellose Konsolengeneration.


Einer unfassbar erfolgreichen und von zahlreichen Meisterwerken geprägten Konsolengeneration einen fulminanten Abschluss verpassen. Keine leichte Aufgabe, der sich Sucker Punch spontan stellen musste, wurde ihr neuster Titel doch erst durch Covid-19-bedingte Verschiebungen urplötzlich zum großen Finale der PS4-Ära umfunktioniert.


Dabei hätte das US-Entwicklerstudio einen relativ simplen Weg einschlagen können: Wieso nicht einfach auf eine der hauseigenen Super-Franchises zurückgreifen und einen neuen Infamous- oder gar Sly Raccoon-Ableger an den Start bringen? Immerhin zwei bekannte und bei weltweiten Gamern beliebte Serien, ein Erfolg wäre also regelrecht vorprogrammiert gewesen.


Mit der Ankündigung von Ghost of Tsushima im Oktober 2017 entschied sich Sucker Punch jedoch offiziell für einen völlig anderen, nämlich deutlich ambitionierteren Pfad. Anstatt sich nämlich in das bereits gemachte Franchise-Nest zu setzen, sollte eine völlig neue IP vor dem Anbruch in die PS5-Zeit für Furore sorgen und in das Japan des 13. Jahrhunderts entführen.


Ein Risiko, das sich schlussendlich bezahlt macht: Denn mit Ghost of Tsushima verfasst Sucker Punch nicht nur einen epischen Liebesbrief an den japanischen Samurai-Film, sondern liefert gleichzeitig eines der ganz großen Highlights des Videospieljahres 2020 ab.


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Zwei Länderherzen in einer Brust


Ich liebe Japan. Beginnend mit Manga (seien wir ehrlich, viele von uns können hier den Anfangspunkt setzen) beschäftigte ich mich in meiner Jugend immer intensiver mit dieser mir damals noch fremden Kultur, erfuhr von der spannenden Historie, einzigartigen Bräuchen und köstlichen Speisen.


Japan wurde zum regelrechten Hobby, entflammte aber rasant zur Leidenschaft, irgendwann sogar zum Lebensinhalt. Ein Japanologie-Studium war somit der einzig logische Schritt, konnte ich hier doch mehr über dieses Land erfahren, die Sprache lernen und eventuell ja sogar einige Reisen dorthin unternehmen, um diese Traumwelt mit eigenen Augen zu sehen und meinen Wissensdurst vor Ort zu stillen.


20 Jahre sind vergangen, seitdem ein Manga meine Liebe für Japan weckte. Seitdem habe ich die Sprache erlernt (definitiv gemeistert, das ist noch ein weiter Weg), das Studium erfolgreich abgeschlossen und mir mit einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt und einer liebevollen Gastfamilie, die mir wahrhaft ans Herz gewachsen ist, jegliche Wünsche erfüllt.


Wenig verwunderlich also, dass mich Ghost of Tsushima seit der Erstankündigung auf die Folter spannte. Sicherlich konnte man die grafische Wucht noch in Frage stellen, ein Downgrade schien mit der sich langsam, aber sicher dem Ende ihres Lebenszyklus nähernden PS4 unvermeidbar. Darum ging es mir jedoch nicht: Sucker Punch – ein US-Videospielentwickler – hatte mit dem kurzen Trailer ein regelrechtes Liebeslied an die japanische Kultur verfasst, den unglaublichen Zauber der Geschichte greifbar gemacht.


Plötzlich erwachte jedoch Skepsis in mir. Ein US-Unternehmen versucht sich an einem authentischen virtuellen Ausflug ins alte Japan? Konnte das wirklich gut gehen? Ja, die Infamous- und Sly-Raccoon-Titel waren fantastisch, hier schien man sich jedoch an einer völlig neuen Hausnummer zu versuchen, wobei gnadenloses Scheitern sicherlich kein unwahrscheinlicher Ausgang war.


Leicht besorgt stürzte ich mich also in die erste Test-Session, versuchte, jegliche Sorgen aus meinem Kopf zu wehen und mich vollständig auf Ghost of Tsushima einzulassen. Wie sich herausstellen sollte, handelte es sich hierbei um ein simples Vorhaben: Immerhin waren jegliche Sorgen nach wenigen Minuten direkt verpufft.




Aufopfernder Inselretter


1274 sehen sich die 80 Samurai der kleinen japanischen Insel Tsushima mit einem schier aussichtslosen Kampf konfrontiert. Denn im Zuge der ersten Mongoleninvasion will der taktisch versierte, gleichzeitig jedoch kaltblütig agierende General Khotun Khan gemeinsam mit einer ganzen Armee schwer bewaffneter Krieger hier den Anfangspunkt der kriegerischen Übernahme Japans beginnen und pfeift dabei auf die ehrenhaften Gepflogenheiten und strengen Bräuche der hiesigen Inselbewohner.


Diese lassen sich von der gegnerischen Übermacht jedoch nicht entmutigen. Voller Stolz und mit gezogenem Katana laufen sie am Strand der Komoda-Region dem sicheren Tod entgegen, felsenfest überzeugt, dass sie mit ihrem kämpferischen Können und der heiligen Kraft ihrer Götter im Rücken die Invasion in ihren frühen Zügen zerschlagen und das japanische Festland retten können. Unter ihnen ist auch Samurai Jin Sakai, der nicht nur für sein Land und seine Ehre, sondern vor allen Dingen für seinen Onkel, Ziehvater und Herrscher Tsushimas Fürst Shimura in die Schlacht zieht.


Jegliche Hoffnung wird jedoch nach kurzer Zeit im vernichtenden Keim der harten Realität erstickt. Kann Jin sich anfangs noch gegen die mongolischen Streitkräfte behaupten, findet er in General Khotun Khan seinen Meister. Besiegt und von mehreren Pfeilen getroffen muss er mit ansehen, wie sein ebenfalls geschlagener Onkel entführt und die restlichen Samurai getötet werden. Tsushima ist verloren, der heroische Widerstand zerbrochen, Jin kurz davor, diese Welt mit einem letzten Atemzug zu verlassen.


Diebin Yuna hat jedoch andere Pläne. Mit ihren Heilungskünsten gibt sie Jin eine zweite Chance, sich den Mongolen erneut entgegenzustellen, seinen Onkel zu retten und die Invasion doch noch abzuwenden. Doch auch dieser Versuch schlägt aufgrund überstürzten Handelns und fehlendem Schlachtplan komplett fehl, treibt Jin erneut in die kalte Umarmung des frühzeitigen Todes, der er wie durch ein Wunder abermals entkommen kann und sich anschließend endlich die Zeit nimmt, die nächsten Schritten ruhig zu durchdenken.


Das Vereinen mächtiger Krieger Tsushimas soll der Schlüssel beim Niederringen der mongolischen Armee werden, Jin mit unverzichtbaren Verbündeten versehen, die allesamt als Meister ihres Faches gelten. Doch die Kehrseite dieses Unterfanges stürzt den jungen Samurai in ein regelrechtes Dilemma: Schnell muss er nämlich erkennen, dass dieser Pfad ihn immer weiter von seinem ehrenhaften Kodex entfernen, sogar zum völligen Bruch aller sein ganzes Leben voller Stolz eingehaltener Regeln führen würde. Könnte Jin Sakai diesen Preis in Angesicht des Sieges tatsächlich zahlen, ohne sich selbst vollständig zu verlieren?




Samurai oder Geist?


Historienmuffel dürfen beruhigt aufatmen, bei Ghost of Tsushima handelt es nicht um eine virtuelle Geschichtsstunde. Zwar wird die reale Mongoleninvasion als handlungstechnischen Sprungbrett herangezogen, jedoch fast ausschließlich von fiktionalen Charakteren und Ereignissen genutzt. Sucker Punch macht jedoch auch kein Geheimnis daraus, dass die geschichtliche Komponente die zweite Geige spielt und der facettenreihen Charakterriege, angeführt von Jin Sakai, das Rampenlicht gehört. Eine weise Entscheidung.


Selbst die heroische Rettung Lord Shimuras dient letztlich nur als ein Handlungsrahmen absteckender roter Faden, als reine Grundmotivation, am Ende eines beschwerlichen Weges blutgetränkt, aber siegreich das hehre Ziel erreicht zu haben. Dreh- und Angelpunkt ist die Entwicklung, die Jin beim Beschreiten dieses Pfades wohlwissend durchleben muss, um die mongolische Invasion erfolgreich abzuwehren und nicht nur die kleine Insel, sondern ganz Japan vor einem grausamen Schicksal zu bewahren.


Geradezu dickköpfig verweilt er in den ersten Spielstunden auf dem Weg des Samurais, will dem Terror der fremden Angreifer mit Ehre und Anstand begegnen, dem Kodex durch diese strikte Selbstkontrolle treu bleiben. Ein aussichtloses Vorhaben, das Jin im Angesicht hinterhältiger Widersacher eher rasant ins Jenseits befördert und ein grundlegendes Umdenken erfordert, das den jungen Samurai mit starkem Charakter, aber strikter Erziehung vor ein moralisches und lebensveränderndes Dilemma stellt.


Seine Ehre wahren und letztlich tatenlos zusehen, wie die kaltblütigen Mongolen Tsushima nach und nach unter ihre Kontrolle bringen? Oder das Regelwerk über Bord werfen, zum klangheimlich im Schatten agierenden Geist werden und zumindest einen gewissen Hoffnungsschimmer am immer finster werdenden Horizont erhaschen? Für Jin Sakai fällt die Entscheidung nach einer Reihe erschütternder Ereignisse nicht wirklich schwer.




Beeindruckende Charaktertiefe


Sucker Punch spielt gekonnt mit dem historisch überlieferten Ehrgefühl der Samurai und setzt dabei neben den oftmals bevorzugten Licht- und die Schattenseiten. Erhobenen Hauptes dem Tod ins Auge blicken mag zwar eine löbliche Einstellung sein, wohlwissend die erdrückende Chancenlosigkeit zu akzeptieren und schlussendlich kampflos das Zeitliche zu segnen führt jedoch in eine nicht minder moralische Kalamität.


Jin Sakai bildet diese innere Zerrissenheit erstklassig ab, wird somit nicht nur zum mehrdimensionalen Protagonisten, sondern auch zur tragenden Seele der Haupthandlung. Jede folgenschwere Entscheidung gewinnt durch ihn eine emotionale Wucht, die mich wie ein Wakizashi direkt zwischen die Rippen trifft, das Geschehen kurzzeitig pausieren lässt und mir die Tränen in die Augen treibt. Taschentücher sollte man definitiv bereithalten: Ghost of Tsushima setzt nämlich nicht nur vermehrt auf eben solche Momente, sondern dreht deren Intensität zudem stetig eine Stufe höher, nimmt auf eure Gefühle hierbei keinerlei Rücksicht.


Doch Jin muss diese schwere Last nicht alleine tragen, sondern wird von zahlreichen Charakteren unterstützt, die sich nicht in seinem Schatten verstecken müssen. Tatsächlich möchte ich hier keinen von Jins Verbündeten näher vorstellen, präsentiert sich jegliche Interaktion doch als eine der größten Stärken des Action-Adventures, die ich mit nervigen Mini-Spoilern nicht abschwächen möchte. Doch ob nun Diebin Yuna, Kriegerin Masako oder Meister-Bogenschütze Ishikawa, Sucker Punch hat sich viel Mühe gegeben, jedem Verbündeten ein tragisches Schicksal aufzuerlegen, das neben Jins stetem Wandel zwischen Geist und Samurai nicht gänzlich verblasst.


Ghost of Tsushima verpasst Jin und seinen Kumpanen nicht blind den Heldenstatus, sondern nimmt ihre Taten und Vorgehensweisen kritisch in Augenschein, lässt sie dank grundverschiedener moralischer Einstellungen untereinander sogar gelegentlich lautstark kollidieren. Hierbei werden unterschiedlichste Thematiken zum Leitmotiv erhoben – eine grausame Kindheit in Gefangenschaft, blinde Rachegelüste, die verbitterte Jagd nach einem verlorenen Schüler –, die jeden narrativen Nebenschauplatz zum unverzichtbaren Teil des Gesamtwerks verwandeln, vernachlässigbare Story-Momente sucht man somit vergebens.


Im finalen Handlungsdrittel wirken einige Sequenzen dann aber leider doch etwas zu schnell abgearbeitet, lassen vor allem im direkten Vergleich mit dem vorherigen Aufbau eine abrundende Eleganz vermissen. Auch Bösewicht Khotun Khan darf mit seinem strategischen Geschick und fast schon beängstigendem Kalkül nur während des Prologs und dem fulminanten Finale glänzen, bekommt dazwischen überraschend wenig Zeit für bedrohlichen Reden zur Verfügung gestellt. Mankos, die das letzte Fünkchen Feinschliff sicherlich aus der Welt hätte schaffen können.


Dem gegenüber stehen jedoch eine Reihe unvergesslicher Highlights, episch in Szene gesetzte Momente, die selbst viele Tage nach Beenden des Abenteuers noch nachhallen. Noch heute diskutiere ich mit Freunden über die Richtigkeit gewisser Entscheidungen, hinterfrage die Motivationen meiner Verbündeten, werde von Ghost of Tsushima also stetig dazu animiert, das Erlebte nochmals genauestens zu analysieren und anschließend zu überdenken. Ein kleines Meisterwerk, das Sucker Punch hier mühe- und liebevoll zusammengebaut hat.



Eins mit der Natur


Eigentlich folge ich beim Bewältigen umfangreicher Open-World-Titel stets einer klaren Linie. Das anfängliche Tutorial erfolgreich bewältigen und im Anschluss zunächst die ersten Hauptmissionen ansteuern, um mich zunächst an die grundlegenden Gameplaymechaniken zu gewöhnen und erst im Anschluss die Spielwelt mitsamt all ihren Nebenbeschäftigungen und versteckten Geheimnissen unter die Lupe zu nehmen.


Ghost of Tsushima zwang mich, dieses Vorgehen gnadenlos über Bord zu werfen, brachten mich die malerischen Landschaften doch völlig aus dem Konzept und verwandelten mich vom gewaltbereiten Jung-Samurai zum gemächlich durch die Gegend wandernden Spaziergänger.


Traumhaft, magisch, atemberaubend. Nur eine kleine Wortauswahl, die mir beim Anblick dieser anmutigen Panoramen durch den Kopf schoss. Mit einem wundervollen Zusammenspiel aus verschiedenen Wind-, Wetter- und Lichteffekten kreiert Sucker Punch eine ebenso atmosphärische wie auch lebendige Open World, die einen virtuellen Trip durch das historische Japan erstklassig simulieren und damit spielend leicht zum erzwungenen, aber durchweg erwünschten Innehalten animieren kann.


Ob nun die dekorativen Verzierungen inmitten von Dörfern und Tempelanlagen, die detailreichen Rüstungen und Schwerter, die cineastischen Zwischensequenzen oder die wundervoll in Szene gesetzten Flora und Fauna, die das Gesamtbild mit Leben erfüllen. Ghost of Tsushima setzt regelmäßig optische Highlights, fasziniert dadurch regelmäßig aufs Neue und macht visuelle Redundanz zu einer Unmöglichkeit. Selbst nach knapp 25 Stunden legte ich gerne eine kurze Pause ein, um Zeuge des nächsten beeindruckenden Sonnenuntergangs mitsamt all seiner eleganten Farben und majestätischen Lichtspielereien zu werden.


Ein Moment hat sich besonders intensiv in meinen Hinterkopf gebrannt, kam mir beim Niederschreiben meiner Gedanken auch direkt wieder in den Sinn. Nach einer kurzen Kletterpartie hatte ich die Spitze eines Berges erreicht, wurde allerdings direkt von einem vorbeifliegenden Vogel in Richtung eines pittoresken Anblicks gelenkt. Die untergehende Sonne schickte ihre letzten Strahlen durch die Baumkronen, der Wind wehte Blätter durch die Lüfte, Rehe und Wildschweine hüpften durch farbenprächtige Blumenwiesen.


Tatsächlich fühlte ich mich kurzzeitig nach Japan versetzt, erinnerte mich an meine damaligen Spaziergänge durch die friedlichen Naturgebiete abseits der Großstadt. Und tobte mich direkt am umfangreichen Foto-Modus aus, um mir dieses Panorama ins virtuelle Fotoalbum zu kleben.




Eine Verbeugung vor Akira Kurosawa


Meine Faszination konzentrierte sich jedoch nicht nur auf die malerischen Postkartenmotive in Videospielform, sondern setzte sich auch bei der grandiosen Inszenierung packender Katanagefechte fort. Hier pulverisierte Sucker Punch meine Sorgen bezüglich US-Entwickler, die sich an japanischen Titeln versuchen, nämlich vollständig.


Jedes Charaktermodell, jedes Schwertmanöver, jede Kameraeinstellung, jeder in das Gesamtbild eingeflochtene Effekt unterstreicht eindrucksvoll, dass das gesamte Team nicht nur mit Leidenschaft und Detailverliebtheit, sondern auch mit enormer Passion für die fernöstliche Kultur ans Werk gegangen ist, wobei neben Historie und Ehrgefühl auch die Filmbegeisterung eine sichtbar wichtige Rolle spielte.


Mit cineastischen Zwischensequenzen und passend eingesetzten Zeitlupeneffekten erinnerte mich Ghost of Tsushima oftmals an Klassiker des japanischen Samurai-Films, zauberte mir beim Gedanken an Ran, Rashômon oder Yôjinbô direkt ein Lächeln auf die Lippen. Wenig verwunderlich also, dass ich optional sogar einen Kurosawa-Modus aktivieren darf, der meinen filmischen Nostalgietrip dank gedämpftem Ton und Schwarzweißbild noch intensiver, meine Jubelrufe damit umso lauter gestaltet.


Leider zeigte sich nun aber auch die Zweischneidigkeit der Grafikklinge, die ich vor lauter Begeisterung zunächst übersehen hatte. Open-World-Standardmacken wie Clippingfehler, unschöne Texturen sowie gelegentlich nervige Bugs und Glitches verfolgen auch Jin Sakai auf seinem Abenteuer, nehmen dabei immerhin nur selten gravierende Ausmaße an – die Schnitzer treffen also höchsten den Rahmen, lassen das wunderschöne Gemälde aber größtenteils unberührt. Das erzwungene Laden eines alten Spielstands oder gar der komplette Spielabsturz blieben mir ebenfalls erspart.


Wer den Sprung zur PS4 Pro noch nicht gewagt hat, sei jedoch gewarnt: Für den Test des letzten Sony-Exklusivtitels packte ich meine treue, mittlerweile gnadenlos angestaubte PS4 aus und musste feststellen, dass Ghost of Tsushima auf der Originalkonsole auf grafischen Krücken läuft. Den eben genannten Schwächen wird eine teils katastrophale Framerate hinzugefügt, die idyllische Reisen durch die wundervolle Spielwelt mit heftigen Slowdown-Attacken versieht. Spielbar bleibt das Samurai-Abenteuer zwar dennoch, die Erwartungshaltung sollte aber dementsprechend angepasst werden.




Fernöstliche Atmosphäre auf meisterhaftem Niveau


Schicke Optik ist jedoch nur die halbe Miete des ultimativen Atmosphäre-Pakets – dessen war sich Sucker Punch mit Blick auf die ebenfalls starke Soundfront jedoch definitiv bewusst.


Die Komponisten Ilan Eshkeri und Shigeru Umebayashi fusionieren ein episches Orchester mit japanischen Klängen, woraus eine ebenso eindrucksvolle wie auch facettenreiche Symbiose entsteht, die maßgeblich für den hohen Stellenwert der musikalischen Untermalung ist. Der Soundtrack von Ghost of Tsushima verpasst jeder Situation – ob nun gemütliche Landschaftswanderungen, epische Katanakämpfe oder bedeutungsschwangere Dialoge – die passende Melodie und nistet sich dank einzigartiger und oftmals beruhigender Kompositionen direkt in eurem Ohr ein. Keine Überraschung, dass dieser seit Tagen als mein wohlklingender Begleiter fungiert.


Qualitativ können sich die deutsche und englische Sprachausgabe mitsamt motiviert ans Werk gehender Sprecher ebenfalls einen bequemen Oberliga-Platz verdienen, wollen sich dabei jedoch nicht vollständig in das fein abgestimmte Gesamtbild einfügen. Schlussendlich kann man dafür nicht der eigentlichen Leistung, sondern eher der logischen Inkompatibilität die Hauptschuld zusprechen: Wenn jeglicher Aspekt JAPAN! schreit, wirken andere Sprachen unfreiwillig wie ein Fremdkörper, der der Immersion geringfügige Schnitzer verpasst.


Zum Glück darf man optional auch auf eine japanische Fassung zurückgreifen, die vor allem One-Piece-Fans freuen dürfte, konnte man immerhin Lorenor-Zorro-Sprecher Kazuya Nakai als Stimme von Jin Sakai gewinnen. Somit wird das anfangs erwähnte Atmosphäre-Paket vollends abgerundet, kann sich auf der Zielgeraden einen schwerwiegenden Ausrutscher dann allerdings doch nicht verkneifen. Wer die Sprachoption nämlich auf Japanisch stellt, muss teils gravierende Probleme mit der Lippensynchronität akzeptieren, die vor allem während der Zwischensequenzen gelegentlich schwer zu ignorieren sind.


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Geringfügig modifizierte Open-World-Formel


Nun war die erste, textlich unerhört ausschweifende Begeisterungswelle vorbeigezogen, auf meinem treuen Pferd donnerte ich geradewegs in Richtung episches Abenteuer. Musste dabei aber schnell erkennen, dass Ghost of Tsushima das Open-World-Rad trotz der wundervollen Spielwelt weder neu erfinden noch spürbar revolutionieren wird.


Vergleiche mit Genre-Kollegen kann man problemlos ziehen, kommt der generelle Ablauf langjährigen Zocker doch bekannt vor. Drei weitläufige Gebiete wollen von euch nacheinander erforscht werden, wobei man hier neben zahlreichen Haupt- und Nebenmissionen einige nette Geheimnisse und Nebenbeschäftigungen ausfindig macht und die anfangs von dichtem Nebel verdeckte Karte Schritt für Schritt enthüllt.


Sucker Punch verpasst der altbekannten Formel aber immerhin einen geschickten Neuanstrich, sorgt somit – im wahrsten Sinne des Wortes – für frischen Wind. Anstatt euren Bildschirm nämlich mit unzähligen Markierungen, einem Kompass oder sonstigen Wegweisern vollzukleistern, nimmt euch Umgebung liebevoll an die Hand. Ihr seht aufsteigenden Rauch? Hier könnte eine neue Aufgabe auf euch warten. Ein Fuchs oder ein goldener Vogel kreuzen euren Weg? Lauft lieber hinterher, am Ende des Wegs könnte eine Belohnung warten. Ein Windzug lotst euch in eine bestimmte Richtung? Da wird da wohl euer aktuelles Ziel warten.


Ghost of Tsushima kann das Open-World-Feeling dadurch nicht gänzlich abschütteln, gestaltet es in Kombination mit der umwerfenden Welt angenehm erfreulich. All die mit einer einzigartigen, japanischen Magie versehenen Elemente greifen gekonnt ineinander und vermeiden, dass der Samurai-Karren voreilig in einem Sumpf der Monotonie und Langeweile endet. Selbst nach etlichen Stunden möchte man die Magie dieser malerischen Insel nicht missen, wird von ihr beim Streicheln eines hilfreichen Fuchses oder dem Erkunden eines scheinbar verlassenen Dorfes unweigerlich in Beschlag genommen.




In der Handlung liegt die Kraft


Allerdings reißt auch das grundlegende Missionsdesign keine Ginkgo-Bäume aus. Besiege einige Gegner, schleiche dich in eine Festung rein, verfolge diese Person, hol diesen Gegenstand, suche Ort B auf – kenne ich alles, gefühlt habe ich mich bereits hunderte Male durch diesen Aufgabenkatalog gearbeitet.


Erneut wirft sich Sucker Punch aber wagemutig vor diese vernichtende Negativ-Kugel und wehrt diese mit einer dicken Schutzweste in Form der narrativen Klasse bravurös ab. Hier können die bereits erwähnten Nebenhandlungen nämlich ihr volles Potenzial entfalten, die Insel Tsushima wirklich mit Leben füllen und die damit in Verbindungen stehenden Schicksale der Einwohner als enormen Motivationsfaktor ausspielen.


Jeder Auftrag entspringt aus einem verzweifelten Hilferuf, erzählt somit seine eigene Geschichte. Nicht immer fallen diese ausschweifend aus, sind stellenweise sogar nach einigen Minuten erfolgreich abgeschlossen, erweitern die Welt dabei aber dennoch um ein weiteres, wissenswertes Kapitel, das mein Abenteuer noch spannender, meine heroischen Taten noch gewichtiger erscheinen lassen.


Beispielsweise helfe ich meinen Verbündeten beim Bewältigen ihrer eigenen Probleme und erhaschen dabei einen Blick auf ihre vom gnadenlosen Leben gezeichneten Seelen. Oder lausche den Mythen legendärer Krieger, um anschließend auf deren Spuren zu wandern und ihre sagenumwobenen Waffen in meinen Besitz zu bringen. Auch von den Untaten der Mongolen gebeutelten Bauern darf ich unter die Arme greifen, erkenne dabei aber schnell, dass sich hinter anfänglicher Unschuld gerne heimtückische Lügen und arglistige Motive verbergen können.


Ghost of Tsushima verpackt die Standardaufgaben in einem farbenfrohen Papier, das von fehlender Innovation und gegen Ende leicht durchschimmernder Monotonie gekonnt ablenken kann. Regelmäßig verlor ich die Haupthandlung aus den Augen, folgte lieber zunächst einem alternativen Pfad, um wirklich jede noch so unwichtig erscheinenden Teilaspekt dieser Welt aufnehmen zu können.




Blut auf der Katanaklinge


Dass ich dabei oftmals mein Katana ziehen und fiesen Mongolen oder angriffslustigen Banditen den Garaus machen musste, versteht sich bei einem Ghost of Tsushima getauften Samurai-Titel von selbst.


Auf das Fundament heruntergebrochen mutet das Kampfsystem recht simpel an. Wir wechseln zwischen leichten und schweren Hieben ab, streuen gelegentlich eine rettende Ausweichrolle ein oder parieren gefährliche Gegenangriffe via perfekt getimtem Schultertastendruck direkt, zermürben damit die feindliche Abwehr und setzten zum effektiven Konter an.


Sucker Punch belässt es jedoch nicht bei dieser simplen Formel und streut weitere Elemente ein, um eure kämpferischen Fähigkeiten regelmäßig auf die Probe zu stellen. So dürfen wir beispielsweise auf verschiedene Hilfsmittel, darunter ein Bogen, Kunais oder Rauchbomben, zurückgreifen, um uns taktische Vorteile zu schaffen und größere Truppen gezielter zu dezimieren. Auch unsere Kampfhaltung dürfen wir auf Wunsch anpassen, um die individuellen Schwächen verschiedener Gegnertypen auszunutzen und Schildträger oder mongolische Hünen schneller in die Knie zu zwingen.


Blind mit dem Katana durch die Gegend fuchteln und mit einigen Pfeilen durch die Gegend zu schießen gestaltet sich spätestens nach dem Prolog als unzureichender Lösungsweg. Richtiges Timing, blitzschnelle Reaktion und variantenreicher Waffeneinsatz werden zu unverzichtbaren Schritten in Richtung Unbesiegbarer Samurai, kleine Fehler werden rasant schmerzhaft bestraft. Zum Glück verfügt Jin über eine beachtliche Entschlossenheit – dargestellt als kleine, über der Gesundheitsanzeige positionierte Kreise –, deren Einsatz Leben spendet uns sogar vor dem unfreiwilligen Bildschirmtod bewahren kann.


In der Praxis funktioniert das vielschichtige Gesamtkonstrukt erstklassig, gab mir vor allem während epischer Großschlachten das Gefühl, ein legendärer, agil agierender Samurai zu sein. Doch der Weg dorthin erforderte viel Eingewöhnungszeit, gestalten Kameraprobleme und eine fehlende Lock-On-Funktion eure ersten Schritte doch etwas chaotisch. Oftmals landeten meine Schwerthiebe urplötzlich im Nirgendwo, woraufhin mich meine Feinde direkt ins digitale Nirvana beförderten. Ein Manko, das man mit ruhiger Kameraführung oder einer Anvisier-Taste problemlos in den Griff bekommen hätte.


Tatsächlich verpuffen diese Schwächen nach wenigen Spielstunden im Nichts, verweilen maximal als leises Pfeifen im wehenden Wind. Sobald man nämlich das Katana gemeistert, schwer bewaffnete Widersacher mit grazilen Manövern ins Jenseits befördert und dabei noch eine Kurosawa-würdige Figur abgegeben hat, spielt das Kampfsystem von Ghost of Tsushima das volle Potenzial aus, verwandelt Kameramacken zu einer hinnehmbaren Problematik, mit der man sich ohne Frage anfreunden kann.


Mein persönliches Highlight: Standoffs, bei denen meine erlernten Fähigkeiten, Konzentration, Ruhe und Timing stets auf die Probe gestellt wurden und zeitgleich der Filmfan in mir aufjubelte. Im feinsten Showdown blickt man einem einzelnen Feind in die Augen und wartet auf den richtigen Moment, den tödlichen Hieb perfekt zu platzieren. Epischer geht es kaum mehr.




Gespenstische Gegnerreduzierung


Sollte Jin dann aber doch mal einige Samurai-Gänge zurückschalten wollen, darf er optional in den Stealth-Modus wechseln und als lautloser Geist einen unachtsamen Krieger nach dem anderen ausschalten.


Spielerisch verzichtet Ghost of Tsushima hier auf bahnbrechende Innovationen, serviert euch dafür aber ein zugängliches Schleichsystem, das erstklassig von der Hand geht und dank weiterer Hilfsutensilien ebenfalls überraschend variantenreich ausfällt. So schleiche ich mich durchs hohe Gras an feindliche Truppen an, starte mit einem Windspiel ein geschicktes Ablenkungsmanöver und packe schlussendlich den vernichtenden Todeshieb aus, den ich sogar mit ebenso verheerenden Folgeangriffen verketten darf.


Auch diese Mechanik setzt Sucker Punch gekonnt um, erreicht dabei aber leider nicht die beachtliche Vielschichtigkeit der Katana-Duelle. Das stille Ausmerzen eines gegnerischen Lagers wird schnell zur bereits bekannten Standardaufgabe, husche ich doch letztlich nur von A nach B, setze optional einen Gegenstand ein und sorge mit einem Schwertstich dann für Recht und Ordnung. Eine wirkliche Herausforderung sucht man dabei vergebens, lässt sich die milde eingestellte Gegner-KI doch selbst von gefundenen Leichen nur temporär aus der Ruhe bringen, geht anschließend wieder in den Status quo über.


Ghost of Tsushima lässt euch allerdings die Wahl, eröffnet dadurch die wunderbare Möglichkeit, spielerische Redundanz effektiv aus der Welt zu schaffen. Keine Lust, einen feindlichen Stützpunkt als geräuschloser Geist heimzusuchen? Dann reitet doch einfach großspurig ein, erlegt via Standoff den mächtigsten Mongolen und schwingt anschließend euer treues Katana. Einzig ausgewählte Hauptmissionen zwingen euch, auf eine vorgegebene Vorgehensweise zurückzugreifen, letztlich bleiben diese in ihrer Menge jedoch überschaubar.




Viele Wege führen zum mächtigen Jin Sakai


Natürlich lehnen sich die mongolischen Streitkräfte beim Aufkeimen einer ernstzunehmenden Bedrohung nicht zurück, sondern verstärken im weiteren Spielverlauf ihre Bemühungen, eurer Mission einen Schwertstrich durch die Rechnung zu machen. Zum Glück eröffnet euch Ghost of Tsushima mehrere Upgrade-Möglichkeiten, mit denen ihr Jin für die kommenden Herausforderungen wappnen könnt.


Greift ihr den Inselbewohnern beim Bewältigen ihrer individuellen Probleme (auch bekannt als „Beendet Haupt- und Nebenmissionen“), verbessert ihr euren Ruf, schaltet dadurch nach und nach Fertigkeitspunkte frei und investiert diese in brandneue Manöver und Fähigkeiten. Beispielsweise dürfen wir das Angriffsrepertoire aller Schwerthaltungen erweitern, Zugriff auf weitere Hilfsgegenstände gewinnen oder unser Stealth-Vorgehen noch lautloser und tödlicher gestalten.


Gleichzeitig geben euch zahlreiche Rüstungen die Chance, Jin nicht nur optisch aufzufrischen, sondern ihn zudem mit besonderen Talenten zu versehen. Der Austausch eures Katanas bleibt euch derweil zwar verwehrt, immerhin dürft ihr beim Schmied im Austausch mit gesammelten Materialien aber schnittige Upgrades in Auftrag geben. Zusätzlich dürft ihr eure Klinge mit magischen Talismanen versehen und dadurch kämpferische Vorteile gewinnen, darunter beispielsweise erhöhte Angriffskraft oder ein optimierter Heilungsprozess.


Reicht euch noch nicht? Kein Problem, konzentriert sich eine Vielzahl der Open-World-Aufgaben doch auf das Schärfen eurer Samurai-Fähigkeiten. Ihr habt eine heiße Onsen-Quelle gefunden? Nehmt ein erholsames Bad und verlängert eure Gesundheitsleiste. Über einen Bambusstand gestolpert? Bewältigt die angezeigten Tastenkombinationen möglichst schnell und freut euch über einen neuen Entschlossenheitskreis. Eine schier unerreichbare Tempelanlage auf einem Berggipfel entdeckt? Bahnt euch mitsamt eurer akrobatischen Begabung einen Weg und erhaltet im Gegenzug einen mächtigen Talisman.


Mit dem regelrechten Upgrade-Overkill schafft es Sucker Punch gekonnt, über die schnell einsetzende Monotonie dieser Nebenaufgaben hinwegzutäuschen. Im Laufe des Tests erklomm ich zahlreiche Berge, nahm etliche Bäder und folgte gefühlt hunderten Füchsen, wurde durch das langsame Zusammenbauen meines virtuellen Super-Samurais jedoch geschickt motiviert, verspürte noch nicht mal den Anflug gähnender Langeweile.


Dieser Umstand ist auch der willkommenen Freiheit beim Freischalten neuer Kräfte zu verdanken. Zu keinem Zeitpunkt zwingt euch Ghost of Tsushima, euch für einen festgelegten Stil zu entscheiden, animiert euch vielmehr, Jin als jederzeit meisterhaften Samurai-Allrounder aufzubauen, der sich schleichend und lautstark kämpfend zu wehren weiß. Der Einsatz gesammelter Fertigkeitspunkte wird durch unzählige Investitionsmöglichkeiten zwar ungemein schwieriger, wird neben der packenden Handlung und der malerischen Spielwelt jedoch gerade dadurch zu einem weiteren Motivationsfaktor, der das Abarbeiten der Karte mit enormer Suchtgefahr versieht.



Der Beweis: Videospiele sind Kunst!


Sucker Punch gelingt mit Ghost of Tsushima ein besonderes Kunststück, dass ich in dieser Form nur selten erleben durfte. Während sich weder die Haupt- und Nebenaufgaben noch das Kampf- und Stealth-System nennenswert von der Open-World-Norm abheben, man sich also nüchtern betrachtet nach wenigen Spielstunden bereits in einem Sog der Monotonie befindet, lassen einen die malerische Spielwelt, die erstklassige Inszenierung, der einzigartige Japan-Charme diesen vollkommen vergessen, verwandeln die unheilvollen Kräfte eben dieses Sogs sogar eher zu einem antreibenden Suchtelement, das man nur schwer abschütteln kann.


Unzählige Male musste ich ein Lager ungesehen infiltrieren, eine kleine Mongolen-Armee bezwingen oder Spuren zum nächsten Missionsziel folgen. Nebenbei zerhackte ich etliche Bambusstände, begleitete niedliche Füchse zum versteckten Schrein und erklomm steile Gebirgswände, um den Göttern an schwer erreichbaren Tempeln mit einer Verbeugung zu huldigen. Doch all diese Beschäftigungen griffen gekonnt ineinander, gaben mir somit willkommene Gründe, jeden Winkel der Insel zu erkunden, mir beim Erschaffen meiner eigenen Legende möglichst viel Zeit zu lassen.


Ghost of Tsushima erinnerte mich an einen Song, dessen Refrain selbst nach der tausendsten Wiederholung nicht langweilig wird, gleichen die übergeordnete Melodie, der generelle Flow und die zwischen den Zeilen versteckte Message doch einem unvergleichlichen Meisterwerk, das trotz allgemeiner Repetition unter die Haut geht, mich tage-, gar wochenlang zum erneuten Betätigen der Play-Taste animiert. Sucker Punch schafft es formidabel, dieses Gefühl in die Videospieldimension zu übertragen und die Gefahren der Open-World-Taktik durch einen atmosphärischen Unterbau zu wahren Stärken umzufunktionieren.


Dadurch wird das Samurai-Abenteuer direkt in die Oberliga der Open-World-Titel katapultiert, funkelt inmitten der Gaming-Masse trotz spielerisch angezogener Innovationshandbremse mit einer inszenatorischen Wucht, die mich mehrfach zum Innehalten bewegte. Ob nun ein filmreifes Duell unter dem Wasserfall, das erfolgreiche Abschließen einer dramatischen Quest-Reihe eines loyalen Verbündeten, das moralische Dilemma des Jin Sakai oder einfach nur ein kurzer Blick gen Horizont, der wundervolle Einzelheiten der unberührten Natur offenbarte.


Plötzlich wurde mir bewusst, dass mich Ghost of Tsushima am emotionalen Kragen gepackt hatte. Ich vermisste Japan, wollte dieses einzigartige Land mit seiner eindringlichen Kultur unbedingt ein weiteres Mal erleben. Dankenswerterweise ersparte mir Sucker Punch (zumindest kurzzeitig) den teuren Flug und entführte mich in ein unvergessliches Open-World-Abenteuer, dass das Genre-Rad nicht neu erfindet, jedoch alle störenden Ecken und Kanten mühselig aufpoliert, um ein rundum gelungenes, emotional mehrfach forderndes Erlebnis zu erschaffen.


Und schenkt der grandiosen PS4-Ära damit ein nahezu perfektes Abschiedsgeschenk, dass der Erfolgsgeschichte der Konsole mehr als gerecht wird.


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Fazit


Sucker Punchs neustes Werk als weiteren Open-World-Titel oder gar als Assassin's Creed in Japan abzustempeln, kommt einer schmerzhaften Gaming-Sünde gleich, werden diese simplen Bezeichnungen der Brillanz des PS4-Schwanengesangs doch nicht einmal ansatzweise gerecht.


Ghost of Tsushima ist ein Liebesbrief an die japanische Kultur, die Geschichte, klassische Samurai-Filme, die unvergleichliche Naturverbundenheit. Malerische Optik, vielschichtige Haupt- sowie Nebenhandlungen sowie eine facettenreichen Charakterriege verpassen den verliebten Worten zusätzlichen Nachdruck, verwandeln eine einseitige Liebelei schnell in ein ausschweifendes Gedicht, das mit sicht- und spürbar viel Leidenschaft, Respekt und Detailverliebtheit verfasst wurde.


Open-World-Konventionen werden dadurch zwar nicht aufgebrochen, dafür aber in eine ebenso prachtvolle wie auch lebendige Spielwelt eingeflochten, die neben der handelsüblichen Kulissenrolle noch als atmosphärischer Unterhaltungsmultiplikator fungiert. Jeder cineastische Schwertkampf, jede schleichende Lagerinfiltration, jeder einfache Spaziergang durch im Wind wehende Blumenwiesen avanciert zum spielerischen Highlight, das aufgabentechnische Repetition und gelegentliche Kameraprobleme vergessen macht.


Mit Ghost of Tsushima übertrifft Sucker Punch sich in jeglicher Disziplin selbst, macht somit den mittlerweile redlich verdienten Aufstieg in den Entwicklerolymp perfekt. Und beschenkt die Playstation-Community nicht nur mit einem fantastischen Konsolen-Abschiedsgeschenk, sondern auch mit einem emotionalen Japan-Abenteuer allererster Güte, das sich den Titel Game of the Year meiner Meinung nach jetzt schon redlich verdient hat.

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