Xenoblade Chronicles 3

Ein ganz und gar grandioser JRPG-Zeitfresser par excellence.


Je älter ich werde, desto schmerzhafter wird mir bewusst, dass das Leben eines waschechten Gamers kein einfaches ist. Während moderne Videospiele nämlich immer umfangreicher und durch nachgereichte DLCs noch länger werden, verliert der Alltag gefühlt jährlich ans kostbaren Stunden, die ich meinem Hobby widmen könnte. Die logische Konsequenz: Der Gaming-Backlog wird immer länger und einige zuvor sehnlichst erwartete Titel verschwinden aufgrund eines knappen Zeitkontos vollständig in der Vergessenheit.


Gelegentlich kommt dann aber doch der Moment, an dem ich mir bewusst viel Zeit lassen möchte, die zuvor festgelegte Reihenfolge über den Planungshaufen werfe, um mich die kommenden Tage, manchmal sogar Wochen nur einer aktuellen Veröffentlichung zu widmen – und dieses Mal hört dieser Moment auf den Namen Xenoblade Chronicles 3. Nachdem mich nämlich bereits die beiden umfangreichen Vorgänger (und auch das von Nintendo gerne klangheimlich unter den Teppich gekehrte Xenoblade Chronicles X) vollends begeistern konnten, war mir das Aufschieben einer weiteren spannenden JRPG-Reise vollkommen unmöglich.


Zwei Wochen später schreibe ich nun diese Zeilen und blicke nicht nur auf ein turbulentes Abenteuer zurück, sondern verdrücke beim Gedanken an den nun gänzlich überschaubaren Backlog eine wehmütige Träne. Doch ob ich diese Entscheidung nun bereue oder sich mein blindes Vertrauen in das neuste Werk des Entwicklerstudios Monolith Soft bezahlt gemacht hat, erfahrt ihr im Laufe dieses Tests.


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Mit vereinten Kräften gegen den Konflikt


Auf den ersten Blick könnte man Aionios als wahres Paradies voll anmutiger Landschaften, fantasievoller Kreaturen und pittoresker Panoramen bezeichnen. Doch leider fehlt ein entscheidendes Puzzleteil, um dieses ansprechende Motiv zur traumhaften Realität zu machen: Frieden.


Seit einer gefühlten Ewigkeit fechten die beiden Nationen Keves und Agnus nämlich einen unerbittlichen Konflikt aus, der gnadenloser kaum ausfallen könnte. Dementsprechend ist ein normaler Alltag für die beiden Völkern kaum denkbar, werden die potenziellen Soldaten doch direkt ins Training und anschließend auf das Schlachtfeld geschickt, um voller Stolz für den Sieg zu kämpfen und dabei kostbare Lebensenergie zu ergattern, um die flammende Lebensuhr der Kolonie zu füllen. Sofern man den gegnerischen Angriffen unbeschadet entgehen konnte, findet die Dienstzeit spätestens nach zehn Jahren mit einem ehrenvollen Tod ein freiwilliges Ende. Ein schier niemals enden wollender Kreislauf der Gewalt, der Aionios zusehends weiter ins Chaos stürzt.


Ein schicksalhaftes Treffen soll jedoch einen kleinen Hoffnungsschimmer in das düstere Dauergefecht bringen. Denn obwohl sich die Keves-Anhänger Noah, Lanz und Eunie sowie die Agnus-Soldaten Mio, Sena und Taion auf dem Schlachtfeld anfangs noch als Feinde gegenüberstehen, werden sie nach einer lebensbedrohlichen Auseinandersetzung mit einer geheimnisvollen dritten Partei schlagartig zu Verbündeten. Immerhin scheint die heimtückisch aus dem Hintergrund agierende Gruppierung nicht nur alle kämpferischen Fäden in ihren Händen zu halten, sondern sieht die ums Überleben ringenden Soldaten zudem als simple Schachfiguren – Grund genug, einen Strich durch ihre finsteren Pläne zu machen!


Leichter gesagt als getan, werden Noah, Mio und Co. durch ihre ungewöhnliche Allianz doch schlagartig zu Feinden beider Nationen erklärt und müssen sich dadurch unter Dauerfeuer einer Bedrohung entgegenstellen, deren Macht und Kontrolle erdrückender kaum sein könnte. Nichtsdestotrotz verzeichnet die tapfere Truppe inmitten dieser aussichtlosen Konfrontation rasant die ersten Teilerfolge und trägt den Wunsch nach Frieden und Freiheit sogar in die zahlreichen Kolonien hinein. Doch wird das tatsächlich ausreichen, um die Waffen schlussendlich niederlegen und ein neues Zeitalter beginnen zu können?



Die vielen Facetten einer düsteren Welt


Eingangs stand ich der Haupthandlung von Xenoblade Chronicles 3 eher skeptisch gegenüber. Sicherlich versprachen die zahlreichen Trailer und Charaktervorstellungen vor dem herbeigesehnten Release eine epische JRPG-Saga, erinnerten mich dabei allerdings oftmals an ebenfalls namhafte Genre-Vertreter, die einen ähnlichen Geschichtspfad bereits viele Jahre zuvor beschreiten durften. Auserwählte Helden aus befeindeten Völkern müssen sich zusammentun, um eine geheimnisvolle Bedrohung aufzuhalten und dadurch vielleicht ein Zeitalter des Friedens einzuläuten? Gefühlt waren hier alle Variablen des kleinen Rollenspiel-Einmaleins versammelt.


Und obwohl dieses Gefühl zu Beginn meines Tests erhalten blieb – wenig verwunderlich, muss eben dieses erzählerische Fundament während der ersten Stunden doch zunächst aufgebaut werden –, machten sich erste Stärken bemerkbar, die meine Skepsis gekonnt in Begeisterung umwandelten. Umhüllten die Vorgänger düstere Themen nämlich noch mit einer humorvollen Leichtigkeit, wird die tragische Wucht der erbitterten Schlacht zwischen Keves und Agnus nur selten abgemildert. Themen wie der Verlust von Kameraden, die gänzlich für den sinnlos erscheinenden Konflikt verschriebene Lebenszeit sowie das jähe Ableben werden dabei zwar nicht mit niederschmetternder Brutalität, dafür aber mit einer wirkungsvollen Emotionalität erzählt, wodurch eine ebenso dichte wie auch unheilvolle Atmosphäre aufgebaut wird.


Monolith Soft versteht es dabei erstklassig, auf dem schmalen Grat zwischen betrüblichen und aufheiternden Momenten zu wandern, kann den gewünschten Ton aufgrund einer zuverlässigen Balance also eindrucksvoll halten. Dieser Umstand ist primär den Protagonisten zu verdanken, deren einzigartige Persönlichkeiten und zwischenmenschlichen Interaktionen durch diese Zweischneidigkeit geformt wurden. Als ehemalige Krieger kennen sie diesen Konflikt und würden das Opfer ihrer Verbündeten niemals kleinreden, versuchen dieser grauenhaften Welt abseits des Schlachtfelds jedoch gedanklich kurzzeitig zu entkommen – und sei es nur mit einem amüsanten Gespräch, lockeren Trainingseinheiten oder gemeinsamem Lachen.


Gleichzeitig ist es enorm erfreulich, dass die gnadenlose Auseinandersetzung zwischen zwei Nationen nicht das eigentliche Hauptmotiv darstellt, sondern überraschend schnell in der Hintergrund geschoben und dabei mit einer zweiten Geige ausgerüstet wird. Kaum haben sich Noah, Mio und Co. nämlich gefunden, nehmen sie direkt den geheimnisvollen Feind hinter den Kulissen ins Visier und setzen dadurch Ereignisse in Kraft, die mich mit einer Vielzahl unverhoffter Schockmomente und Wendungen wahrlich überraschten. Dabei stolpert die Truppe zwar regelmäßig über die gesellschaftlichen Auswirkungen der andauernden Kämpfe, behält das übergeordnete, anfangs jedoch noch völlig unbekannte Ziel stets an der Spitze ihrer Agenda. Und muss dabei gleichzeitig lernen, wie sich das Leben ohne die Fesseln eines ewig währenden Kampfes anfühlt.


Liebend gerne würde ich näher auf die Gründe für meine Begeisterung eingehen, beschränke mich allerdings auf von Nintendo offiziell veröffentlichte Informationen, um keine Spoiler in die Welt hinauszuposaunen. Dennoch möchte ich festhalten, dass Xenoblade Chronicles 3 nach einem zunächst unspektakulären, dessen ungeachtet aber trotzdem gelungen Beginn zunächst einige Stunden braucht, um in Fahrt zu kommen und das volle Potential der ambitionierten Story auszuschöpfen. Anschließend wird dieser Turbo-Modus dann aber auch nicht mehr ausgebremst, sondern düst höchstspannend in Richtung Finale – und lässt sich auch von einigen auffälligen, aber immerhin passend in das stimmige Gesamtkonzept integrierten Klischees nicht stören. Ein weiterer Pluspunkt für Neueinsteiger: Obwohl einige Anspielungen auf der Strecke bleiben, werden keinerlei Vorkenntnisse erfordert, weshalb die beiden Vorgänger zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden können.



Erzählerisches Geduldsspiel


Bei all den Lobeshymnen möchte ich einen wichtigen Aspekt allerdings näher besprechen, präsentiert sich dieser doch als narrative Stärke, zugleich aber auch als gewichtige Schwäche. Anstatt mich nämlich geschwind durch das Abenteuer zu führen, lässt sich Xenoblade Chronicles 3 gerne viel Zeit und ernennt ausschweifende Zwischensequenzen und arg langgezogene Dialoge somit nicht zur Seltenheit, sondern zum unverzichtbaren Kernelement.


Prinzipiell muss solch ein Vorgehen nicht automatisch als Nachteil gewertet werden und wird im Falle des Trilogie-Abschlusses der mittlerweile ikonischen Reihe auch gezielt eingesetzt, um Aionios mit mehr Leben, Farbe und Geschichte zu füllen. Alle Haupthelden bekommen nämlich mehr Zeit geschenkt, um ihre Vergangenheit, ihre Gefühlswelt und auch ihre vorantreibenden Motive mit mir zu teilen, wodurch sie mein Herz rasant erobern können. Und auch die Nebenfiguren innerhalb der Kolonien verkommen nicht zu leb- und namenlosen NPCs, sondern bekommen dank einiger weniger Zeilen zumindest einen Hauch Seele eingeflößt. Strenggenommen besitzen nicht alle überlangen Passagen eine wirkliche Daseinsberechtigung, könnten rückblickend sogar ohne jegliche Konsequenzen gestrichen werden. Seid ihr allerdings bereits in die Spielwelt eingetaucht, sorgen eben diese Momente nicht selten für angenehme Auflockerung.


Logischerweise trifft solch eine Struktur aber nicht jedermanns Geschmack. Möchtet ihr nämlich einfach nur in die offene Spielwelt hüpfen, euer Schwert in die Hand nehmen und garstige Kreaturen in die Knie zwingen, nagen vor allem die ersten beiden Kapitel vehement an eurem Nervenkostüm, wird dieser eigentlich simple Wunsch doch einfach nicht erfüllt. Alle paar Schritte sorgen Zwischensequenzen oder Konversationen für eine Zwangspause und lassen ausgiebige Erkundungszüge in weite Ferne rücken. Fehlt euch dabei die nötige Geduld, ist ein vorzeitiger Abbruch nicht unwahrscheinlich – obwohl es sich lohnt, bis zum dritten Kapitel durchzuhalten.


Während die Sinnhaftigkeit des zusätzlichen Handlungsfetts ohne Frage diskussionswürdig ist, bewegen wir uns mit Blick auf das Tutorial definitiv in negative Gefilde, fällt dieses doch ungemein ermüdend, langgezogen und tragischerweise auch erzwungen aus. Wirklich jeder relevante Schritt muss zunächst erklärt, oftmals sogar ausgeführt werden, wodurch der Spielfluss ins Stocken gerät und ich unliebsam aus der aktuellen Situation gerissen wurde. Besonders nervig: Obwohl mir als alter JRPG-Hase das Anlegen neuer Rüstungen und Fähigkeiten bestens bekannt ist, muss ich mich durch unnötig lange Erklärungen quälen und den Vorgang sogar durchspielen, bevor ich in die Freiheit entlassen werde. Hoffentlich führen kommende Patches die Möglichkeit ein, diese Tutorials auszuschalten – denn auf solch eine helfende Hand kann ich gerne verzichten.



Aus der Simplizität entspringt die Vielschichtigkeit


Und auch beim Kampfsystem wird keine helfende Hand benötigt. Xenoblade Chronicles 3 orientiert sich nämlich wenig überraschend an den Vorgängern und mutet hierdurch zunächst enorm simpel an. Mit meiner sechsköpfigen Truppe steuere ich einen Feind an, ziehe auf Knopfdruck meine Waffe und darf mich anschließend gemütlich zurücklehnen – denn ab diesem Zeitpunkt verteilen meine Kämpfer die schmerzhaften Schläge vollautomatisch.


Natürlich habe ich mit dieser faulen (beziehungsweise nicht existenten) Strategie höchstens während meiner ersten virtuellen Gefechte Erfolg und werde anschließend eingeladen, aktiver in das Geschehen einzugreifen. Während fünf Helden nämlich vom Computer gesteuert werden, übernehme ich die Kontrolle eines Kämpfers und darf diesen frei über das Schlachtfeld bewegen, um die beste Position für den möglichst effektiven Einsatz meiner vernichtenden Spezialangriffe einzunehmen. Und da diese nicht nur Schaden anrichten, sondern zugleich meine Verbündeten stärken, Gegner schwächen und angeschlagene Gesundheitsreserven auffüllen können, wird ein durchdachter Einsatz auf dem Weg in Richtung Sieg zum A und O – vor allem, da diese Attacken erst nach einer gewissen Cooldown-Phase erneut aktiviert werden dürfen.


Gleiches gilt auch für die Fusionen, die in besonders brenzligen Situationen schnell zum Lebensretter werden und eine drohende Niederlage somit rasant in einen glorreichen Sieg umwandeln können. Auf Kommando verschmelzen zwei Teammitglieder nämlich zu einem übermächtigen Wesen (nähere Ausführungen hierzu werden aus Spoilergründen bewusst vermieden), das schier unaufhaltsam für Chaos und Zerstörung sorgt. Bündelt ihr dann auch noch die Durchschlagskraft euer Einheit, lässt sich sogar ein imposanter Kettenangriff startet. Zwei Paradebeispiele für perfektes Teamwork und zudem unerlässliche (Über)Lebensversicherungen, die sich primär bei gigantischen Bossen bezahlt macht.


Blind auf eine vernichtende Offensive zu setzen führt bei Xenoblade Chronicles 3 allerdings nur äußerst selten zum Erfolg, muss doch gleichzeitig auch das Wohlergehen des Teams im Auge behalten werden. Glücklicherweise stehen mir hierfür drei verschiedene Rollen zur Verfügung, die ich unter meinen Gefährten verteilen darf. Während die Angreifer ordentlich austeilen und die Verteidiger eventuelle Konter abwehren, sorgen die Heiler für erholsame Schmerzlinderung. Zusätzlich habe ich die Möglichkeit, jederzeit die Kontrolle über einen anderen Helden und somit auch über eine andere Rolle zu übernehmen, um die eventuell langsam agierende Computer-KI tatkräftig zu unterstützen.


Allein dadurch erfährt die anfangs vorherrschende Simplizität eine taktische Varianz, die nach kurzer Zeit in eine beachtliche strategische Komplexität mündet. Gänzlich überfordernd wird das Kampfsystem dadurch zwar nicht, setzt jedoch eine gewisse Vorbereitungszeit und vor allem ein durchdachtes Vorgehen voraus, um die Herausforderungen und Gefahren dieser düsteren Welt möglichst unbeschadet passieren zu können.



Eine immerwährende Suche nach der perfekten Klasse


Selbstverständlich muss ich mich beim Umsetzen dieses noblen Vorhabens nicht nur auf mein spielerisches Können verlassen, sondern darf auch auf traditionelle Mittel zurückgreifen, um mein Team gezielt zu verstärken und ein potenzielles Versagen somit zu umschiffen. So verdiene ich mir durch das Vermöbeln von Standardgegnern und Bossen Erfahrungspunkte, die früher oder später zum Stufenanstieg meiner Teammitglieder führen und alle wichtigen Statusattribute wie Angriff, Verteidigung und Co. erhöhen. Obendrein sorgen käuflich erwerbbare oder in der Spielwelt auffindbare Ausrüstungsgegenstände sowie aus gesammelten Materialien erschaffene Edelsteine für einen weiteren Kräfte-Boost. Altbekannte JRPG-Kost, die keinen Genre-Profi vom Hocker reißen dürften, trotzdem aber einfach dazugehören.


Scheinbar wollte sich Monolith Soft damit nicht zufrieden geben und fügt dem Gesamtkonzept kurzerhand die Klassen hinzu, die den Entwicklungsprozess bedeutend vielschichtiger machen. Hinter dem Schwertkämpfer, Kriegssanitäter oder schweren Wächter verbergen sich nämlich einzigartige Verhaltensweisen und Fähigkeitssammlungen, die trotz ihrer kämpferischen Individualität an die zuvor erwähnten Rollen verknüpft sind. Durch diese Kombination beschränkt sich die Einteilung meines Teams nicht nur stur auf Angreifer, Verteidiger und Heiler, sondern fällt mit einer Vielzahl an mir zur Verfügung stehenden und optional freischaltbaren Klassen ungemein verzweigter aus.


Der Clou: Sind alle Protagonisten anfangs nämlich noch mit festgelegten Klassen ausgestattet, darf ich diese bereits nach kurzer Zeit nach Belieben anpassen und die von den Entwicklern vorgestellte Konstellation somit vollständig auf den Kopf stellen. Jeder Held darf jede mir zur Verfügung stehende Klasse übernehmen und diese durch stetigen Einsatz perfektionieren und verinnerlichen. Missfällt mir eine zuvor getroffene Entscheidung, darf ich diese jederzeit revidieren und einen alternativen Verbesserungspfad für einen bestimmten Charakter wählen. Ihr dürft also vollkommen frei und ohne Furcht vor jeglichen Konsequenzen mit der Teamdynamik experimentieren und versuchen, eure persönliche Supertruppe zu erschaffen.


Xenoblade Chronicles 3 präsentiert hierbei zwar eine empfohlene Strategie – natürlich bietet sich der bullige Lanz mit seinem gigantischen Schwert als erstklassiger Tank und somit Verteidiger an –, ernennt diese allerdings nicht zum einzig akzeptablen oder gar optimalen Weg. Infolgedessen fällt das Austüfteln neuer Kombinationsmöglichkeiten enorm motivierend aus und sorgte dafür, dass ich zahlreiche Stunden meines Tests allein dem Ausprobieren völlig neuer Zusammenstellungen widmete. Und mich über jede neue Klasse enorm freute, durfte ich mein liebevoll kreiertes System nun doch endlich überarbeiten und vielleicht sogar noch verbessern.



Zwischen den Schwierigkeitswelten


Bei solch einer Fülle an Mechaniken und optionalen Anpassungs- und Verbesserungsmöglichkeiten dürften unerfahrene Rollenspiel-Neulinge wahrscheinlich direkt leichte Schweißausbrüche erledigen. Erfreulicherweise präsentiert sich das Kampfsystem während der ersten Spielstunden enorm zugänglich und nähert sich der ausführlich beschriebenen Vielschichtigkeit nur häppchenweise, wodurch abschreckende Überforderung gekonnt umgangen, eine ausführliche Auseinandersetzung mit all den wichtigen Kernelementen aber zugleich gelungen forciert wird. Und sollten sich Anfänger dennoch die Zähne an einem besonders hartnäckigen Feind ausbeißen, darf der Schwierigkeitsgrad jederzeit gesenkt werden.


In den optionalen Schwierigkeitsstufen liegt allerdings gleichzeitig die größte Problematik von Xenoblade Chronicles 3 begraben. Zu Beginn meines Abenteuers darf ich mich nämlich für Leicht, Normal oder Schwer entscheiden und damit frühzeitig sicherstellen, dass mich die anstehenden Gefechte gegen monströse Kreaturen und schwer bewaffnete Soldaten weder über- noch unterfordern. Und wenden Neueinsteiger ihren Blick auf die einfachste Stufe, lässt sich zunächst kein Kritikpunkt erkennen. Diese fällt nämlich ausreichend fordernd aus, stellt für Gamer mit grundlegenden JRPG-Kenntnissen jedoch nur äußerst selten eine nennenswerte Misere dar.


Wurde die Eingewöhnungsphase aber endgültig absolviert, wirkt ein Sprung auf das normale Level äußert attraktiv – vor allem, da sich Standardgegner auf der niedrigsten Einstellung ab einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich vollautomatisch bekämpfen lassen, ein aktives Eingreifen also überhaupt nicht notwendig ist. Doch leider fällt die mittlere Stufe mitunter ebenfalls überraschend simpel aus, zwingt geübte Kämpfer also nur selten zum Einsatz einstudierter Höchstleistungen. Anstatt sich als Retter in der Schwierigkeitsnot zu behaupten, driftet die schwere Stufe vor allem während der teils knackigen Bosskämpfe gerne in unfaire Territorien ab und sorgt nicht nur für unerträglich langsam zusammenschmelzende Gesundheitsleisten, sondern auch für unfaire Momente. Ein Horror für ambitionierte Helden mit dünnem Nervenkostüm.


Solche Situationen müssen nicht unweigerlich im vorzeitigen Motivationstod enden, lassen sie sich durch eine schnelle Anpassung des Schwierigkeitsgrads doch jederzeit umschiffen, stellenweise sogar durch den Einsatz aller kämpferischer Gameplay-Möglichkeiten bewältigen. Dennoch wäre es auch hier wünschenswert, dass kommende Patches diese unliebsamen Schwankungen vollständig glattbügeln, um den Marsch durch die gewünschten Schwierigkeitsgefilde möglichst hindernis- und vor allem stressfrei zu gestalten.


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Heldenhafte Nebenbeschäftigungen


Zweifelsfrei dürfte dieser Kritikpunkt jahrelangen JRPG-Veteranen sauer aufstoßen, verkommt im Angesicht des Gesamterlebnisses dann allerdings doch rasant zum vernachlässigbaren Makel. Sobald mich Xenoblade Chronicles 3 nämlich von den narrativen Fesseln befreit und in die wundervolle offene Spielwelt entlässt, verfalle ich der fesselnden Magie eines fantasievollen Abenteuers und verliere jegliche Nachteile dabei bewusst (aber auch unbewusst) aus den Augen.


Denn die weitläufigen Gebiete von Aionios stecken voller Geheimnisse, die entdeckt werden wollen. Folglich steuere ich mit meiner Truppe wirklich jeden noch so unscheinbaren Winkel an, sammle überall verstreute Materialien, besiege angriffslustige Feinde und mache Jagd auf Container, die mit kostbaren Schätzen gefüllt sind. Und obwohl mir die Open World nicht auf einen Schlag offensteht, sondern erst mit fortschreitendem Handlungsverlauf neue Bereiche enthüllt, stolpere ich bereits früh über eine Vielzahl optionaler Bereiche, die ich abseits des Hauptweges erkunden darf. Eine wundervolle Ablenkung, der ich mich während des Tests voller Freude gewidmet habe und zielstrebig gigantische Gebirgswände oder klaffende Abgründe anvisierte, um während meiner ausschweifenden Expeditionszüge Grenzen abzustecken.


Zusätzlich warten natürlich noch unzählige Nebenaufgaben, die zum Wohlergehen der Bevölkerung von Aionios erfüllt werden möchten. Und obwohl diese die Genre-Komfortzone nur selten verlassen und den Fokus oftmals auf das Eliminieren einer unliebsamen Gegnergruppierung oder das Abhaken einer Item-Checkliste legen, erzählt Xenoblade Chronicles 3 dabei spannende, mitunter sogar überraschend emotionale Geschichten, die den Zwietracht zwischen Keves und Agnus näher beleuchten und den Schmerz der jungen, unfreiwillig auf das Schlachtfeld geschickten Soldaten bedeutend greifbarer machen. Zwar mag das nicht gänzlich über das Fehlen abwechslungsreicher Missionsziele hinwegtrösten, der tiefere Einblick in die facettenreiche Welt ist aber dennoch begrüßenswert.


Unanfechtbares Highlight in der Nebenbeschäftigungskategorie sind allerdings die sogenannten Helden-Quests, die mir sympathische und charakterlich äußert interessante Nebenakteure zur Seiten stellen, die mit ihren persönlichen Schicksalen und einzigartigen Fähigkeiten durchaus einen Platz in meiner Hauptgruppe verdient hätten. Die daraus resultierenden narrativen Stärken sind Hauptgrund dafür, dass die erneut eindimensionale Auftragsstruktur auch hier kaum negativ auffällt, sondern vielmehr akzeptiert wird, bleiben die erzählten Geschichten doch durchgehend spannend und packend – vor allem, da diese nicht selten mit der Vergangenheit meiner eigenen Heldentruppe in Verbindung stehen.



Grafische Schönheit am Rande des Hardware-Limits


Dass meine Begeisterung für dieses famose JRPG-Erlebnis grenzenlos ist, dürfte mittlerweile kein Geheimnis mehr sein. Und die Gründe hierfür sind vielfältig: Die dramatische Handlung mitsamt der sympathischen Helden, die gigantische Welt voller verborgener Geheimnisse und Kostbarkeiten, das komplexe Kampfsystem oder die vielfältigen Upgrade- und Experimentiermöglichkeiten. Doch all diese löblichen Aspekte werden von einem wichtigen Hauptbestandteil zusammengehalten, der während des Entwicklungsprozesses augenscheinlich viel Zeit, Liebe und Fürsorge erfahren hat: eine mich spielend leicht in ihren Bann ziehende, technische Präsentation allererster Güte.


Filmreif inszenierte Zwischensequenzen, detailreiche Charaktermodelle und anschauliche, gelegentlich sogar regelrecht atemberaubende Schauplätze (Stichwort: Panoramen) greifen phänomenal ineinander und ergeben ein grandioses Gesamtbild, das durch die technisch mittlerweile spür- und sichtbar angestaubte Nintendo Switch in puncto Brillanz allerdings stellenweise ausgebremst wird. Erfreulicherweise halten sich die technischen Limitationen in Grenzen, beschränken sich oftmals auf einige wenige unschöne Texturen, leicht hölzerne Animationen, plötzlich aus dem Nichts auftauchende oder verschwindende Objekte sowie leichte Framerate-Einbrüche. Dennoch ist Xenoblade Chronicles 3 ein weiterer Titel, der die Dringlichkeit eines Switch-Nachfolgers deutlich macht – denn mit zusätzlicher Hardware-Power hätte Monolith Soft problemlos ein weitaus höheres Grafikniveau erreichen können.


Erweiterte Technik-Ressourcen benötigt der japanische Komponist Yasunori Mitsuda für die vollständige Entfaltung seines musikalischen Potenzials derweil nicht. Nachdem er nämlich bereits mit den spirituellen Vorgänger-Reihen Xenogears und Xenosaga sein Können klangstark unter Beweis stellen und auch die Xenoblade Chronicles-Saga seit dem ersten Teil begleiten durfte, aktiviert der enorm kreativ ans Werk gehende Künstler für den Trilogie-Abschluss seine Xeno-DNA erneut und liefert gemeinsam mit Manami Kiyota, Kenji Hiramatsu, Mariam Abounnasr und dem Musik-Duo ACE, die ebenfalls allesamt Teil der Serienvergangenheit sind, einen nahezu himmlischen Soundtrack ab. Und obwohl dieser die Brillanz früherer Kreationen leider nicht übertreffen kann, befindet er sich dank variantenreicher Melodien und einer stimmigen Achterbahnfahrt durch verschiedene Gefühlswelten mindestens auf Augenhöhe.


An dieser Stelle möchte ich die Leichtigkeit hervorheben, mit der sich die Tonalität schlagartig ändern und handelsübliche Kämpfe zur epischen Supersequenz oder humorvoller Smalltalk schlagartig zum tragischen Therapiegespräch werden können. Mitsuda vermischt gekonnt orchestralische mit rockigen Klängen, vermengt diese anschließend noch mit besinnlichen Flötenspielen und wuchtigen Chor-Einlagen und erschafft dadurch eine wilde Mischung, deren einzelne Bestandteile dank eines gemeinsamen Nenners aber vortrefflich miteinander harmonieren. Folglich wird akustische Langeweile erfolgreich vermieden, wirft mich der konstante Wechsel doch von einer emotionalen Stimmung zur anderen und verpasst der ebenfalls vielschichtigen Handlung dabei weiteren Nachdruck.


Zu guter Letzt verpassen die japanische sowie die englische Sprachausgabe dem inszenatorischen Part dieses Tests beide ein verdientes i-Tüpfelchen. Natürlich muss ich mich beim direkten Vergleich ein weiteres Mal auf meine altbekannten Floskeln zurückgreifen und das Original für das kleine Extra-Portiönchen Authentizität loben, doch selten fiel der Unterschied dank vortrefflich ausgesuchter Sprecher so marginal aus. Solltet ihr das Lesen von Untertiteln also tunlichst vermeiden und euch deshalb für die englische Variante entscheiden wollen, könnt ihr dies mit bestem Wissen und Gewissen tun, braucht ihr euch vor qualitativen Einbußen doch nicht zu fürchten.



Haltet euren Gaming-Kalender frei!


Obwohl ich in meinem bisher knapp 3000-Wörter-Test händeringend versuche, die von Xenoblade Chronicles 3 ausgehende Faszination passend in Worte zu fassen, scheint mir dieses Vorhaben gefühlt kaum zu gelingen. Dass sich Monolith Soft von diesem Mammutwerk nämlich kaum einschüchtern ließ, sondern alle relevanten Entwicklungssäulen mit ausreichend Liebe und Sorgfalt aufbaute und anschließend für glänzenden Feinschliff sorgte, kommt in meinem kritischen Gamer-Hirn selbst nach einer Gesamtspielzeit von 120 Stunden kaum an.


Neben der ausgearbeiteten Handlung, fabelhaften Technik und dem vielseitigen Kampfsystem kreierte die Videospielschmiede nämlich noch ein wildes Umfangmonster, das sich zu keinem Zeitpunkt wirklich beruhigen ließ und meinen Weg in Richtung Abspann (und somit auch zur persönlichen Ziellinie meines Test-Marathons) ungemein herausfordernd gestaltete. Gefühlt alle paar Sekunden lenkten mich verführerische Nebenaufgaben, optionale Heldenbegegnungen, auf der Karte eingezeichnete Schätze und umwerfende Schauplätze vom eigentlichen Hauptpfad ab, wodurch mein heroischer Streifzug durch Aionios einfach kein Ende nehmen wollte.


Monolith Soft macht auch gar kein Geheimnis daraus, dass möglichst viele Quest und Aufgaben in das Abenteuer reingedrückt werden sollten, die Inhaltsobergrenze also enorm hoch angelegt wurde. Immerhin durfte bereits zum Release ein Erweiterungspass mit hilfreichen Items und Farbvariationen bereits verfügbarer Outfits, gleichzeitig aber auch mit völlig neuen Kleidungsstücke, Helden, Missionen und sogar einer brandneuen Handlung käuflich erworben werden. Und da dieser in vier Wellen zeitlich versetzt ausgeliefert wird, zieht sich meine Liste an zu absolvierenden Herausforderungen sogar bis ins Jahr 2023. Verrückt.


Normalerweise würde ich hier den beurteilenden Zeigefinger heben und eine fast schon erzwungene Überlänge monieren, Xenoblade Chronicles 3 gelingt allerdings das Kunststück, all diese optionalen Nebenbeschäftigungen zum glaubhaften Teil der übergeordneten Welterkundung zu verwandeln. Bei meinen Ausflügen lerne ich neue Kolonien kennen, erfahre manchmal sogar mehr über meine Helden und tauche dadurch nach und nach immer tiefer in das mehrdimensionale Aionios ein, das ich irgendwann überhaupt nicht mehr verlassen wollte. Kaum verwunderlich also, dass ich die eben erwähnte Ziellinie kaum herbeisehnte, sondern diese stattdessen komplett ignorierte – auch wenn ich eine gefühlte Ewigkeit an diesem Test würde sitzen müssen.


Und genau diese Momente untermauern, dass das mein eigens gewähltes Dasein als Gamers zweifelsfrei kein einfach ist, immerhin kann der Backlog nur größer, das Zeitkonto nur schmaler werden, wenn sich solche gigantisches JRPGs auf meinen Zettel schleichen und mich zu einem stunden-, sogar wochenlangen Abenteuer einladen. Wenn es sich bei diesen JRPGs allerdings um solch durch und durch grandiose Werke wie eben Xenoblade Chronicles 3 handelt, dann bin ich stolz erhobenen Hauptes bereit, dieses schwere Opfer zu erbringen – und muss dann eben daran arbeiten, den Videospielstapel in eine möglichst dunkle Ecke meiner Wohnung zu verbannen.


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Fazit


Xenoblade Chronicles 3 gelingt ein Kunststück, das ich im JRPG-Genre in dieser Form nur selten erleben durfte. Dass mich ein heldenhaftes Abenteuer gänzlich in seinen Bann zieht, mich mit einer Vielzahl spannender Haupt- und Nebenaufgaben konstant an die Konsole fesselt und mit einer komplexen Handlung immer wieder aufs Neue beeindruckt, mag dank ambitionierter Projekte (primär japanischer Entwicklungsstudios) sicherlich keine Seltenheit sein. Dass ich dabei aber die Zeit aus den Augen, mich sogar vollkommen in der weitläufigen Welt verliere und mich urplötzlich im dreistelligen Stundenbereich wiederfinde, konnte ich nach dem Abspann nur noch als regelrechte Überraschung verbuchen.


Dieser Umstand ist hauptsächlich der Komplexität zu verdanken, mit der Entwicklerstudio Monolith Soft wirklich alle relevanten Aspekte behaftet hat. Ob nun die Rahmenhandlung, die Haupt- und Nebencharaktere, das Kampfsystem oder die Upgrade-Möglichkeiten, gefühlt an jeder Ecke werde ich mit einer zunächst erschlagenden, nach kurzer Eingewöhnungszeit aber zugänglichen Vielschichtigkeit konfrontiert, die mich zum Mitfieber, Experimentieren und Perfektionieren animiert. Dabei schlägt die Videospielschmiede gelegentlich zwar über das Ziel hinaus, zieht beispielsweise einige Zwischensequenzen oder Tutorials unnötig in die Länge und sorgt durch das Überschreiten der leicht angestaubten Hardware-Limitationen zudem für grafische Ungereimtheiten, degradiert solche Komplikationen aber geschickt zum akzeptablen und nur vereinzelt wahrnehmbaren Hintergrundrauschen.


Doch es sind eben diese kleinen Schwächen, die Xenoblade Chronicles 3 daran hindern, die fabelhaften Vorgänger gänzlich zu übertrumpfen und sich stolz an der wertungstechnischen Franchise-Spitze zu positionieren. Dessen ungeachtet spielt der grandiose Trilogie-Abschluss nicht nur in der gleichen JRPG-Liga, sondern befindet sich zudem mindestens auf qualitativer Augenhöhe, braucht sich vor den früheren Ablegern also keinesfalls zu verstecken. Und beweist damit eindrucksvoll, dass Monolith Soft die einzigartige Magie dieser wundervollen Spielwelt noch lange nicht ausgeschöpft hat – und diese somit auch in Zukunft hoffentlich nicht verlassen wird.

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