Das farbenfrohe Erblühen des ultimativen Serienhöhepunkts.
Jüngst sah sich Videospielentwickler, -Legende und für zahlreiche Fans höchstwahrscheinlich sogar -Gott Shigeru Miyamoto im Rahmen eines Interviews mit der offiziellen Nintendo-Webseite mit einer schwerwiegenden Frage konfrontiert: Warum waren die Verkaufszahlen der Pikmin-Reihe niemals wirklich explodiert, obwohl alle früheren Ableger zweifelsfrei mit einem enormen Spielspaß ausgestattet waren? Eine Problematik, mit der sich Miyamoto scheinbar bereits mehrfach auseinandergesetzt hatte, benannte er neben einer gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Tod und der Sterblichkeit doch auch die Steuerung sowie die spielerische Tiefe rasant als maßgebliche Faktoren für den ausbleibenden Megaerfolg.
Tatsächlich kam ich nach meinem ausführlichen Test der vor einigen Wochen veröffentlichten Remaster-Collection Pikmin 1+2 zu einer ähnlichen Erkenntnis. Während sich das grundlegende Spielprinzip nämlich definitiv als ebenso vielschichtig wie auch ausgearbeitet bezeichnen und mich damit problemlos um den kleinen Motivationsfinger wickeln konnte, schlugen mir die Konsequenzen meiner eigenen (manchmal gar unfreiwillig begangenen) Fehler dann doch regelmäßig aufs Gemüt. Anstatt nämlich einfach meine Gesundheitsleiste zu malträtieren, musste ich tatenlos mit ansehen, wie meine farbenfrohen Mini-Helfer dahingerafft und ihre kleinen Seelen gen Jenseits befördert wurden. Sicherlich kein Horrorszenario, inmitten eines harmonischen Abenteuers dann aber doch eine zumindest makabre Situation, die als schwerwiegende Blockade auf dem Weg Richtung Verkaufsschlager bezeichnet werden darf.
Mit Pikmin 4 hat Nintendo nun aber endlich die Chance, die Weichen umzustellen, den Altlasten der Serienvergangenheit damit komplett auszuweichen und alte sowie neue Stärken geschickt miteinander zu kombinieren, um neben jahrelangen Fans auch eine völlig neue Generation neugieriger Planetenforscher zu erreichen. Doch ob diese Gelegenheit dann auch erfolgreich beim Pflanzenschopfe gepackt und der neuste Ableger dadurch schnurstracks an die Franchisespitze katapultiert wird oder der erhoffte Mainstream-Sprung trotz zahlreicher Verbesserungen schlussendlich misslingt, verrät euch das tapfere Rettungsmitglied Dante in seinem ausführlichen Test.
Captain Olimar, der ständig abstürzende Pechvogel
Es ist kein Geheimnis, dass wir unseren favorisierten Gaming-Helden einige Fehler, unglückliche Handlungen und ein gewisses Maß an Tollpatschigkeit gerne verzeihen. Weshalb Captain Olimar – seines Zeichens Protagonist der beiden ersten Pikmin-Teile – die Fluglizenz aber nicht schon längst entzogen und ihm stattdessen ein sicherer Schreibtischjob aufgezwungen wurde, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben. Anstatt nämlich aus seinen Fehlern zu lernen und Sicherheit an die Spitze seiner Agenda zu setzen, steuert der wagemutige Geselle auch in Pikmin 4 den Planeten PNF-404 an, verzichtet dabei jedoch erneut auf eine sichere Landung und legt lieber einen fulminanten Absturz hin, der sein zuvor zuverlässiges Raumschiff in ein baufälliges Wrack verwandelt.
Immerhin markiert nicht etwa die aktuelle Bruchlandung, sondern das erfolgreiche Absenden eines Hilferufs den Beginn des neuen Abenteuers. Gemeinsam mit seinen hilfsbereiten Pikmins sowie seiner Hundepartnerin Moss kann Olimar das finale Bauteil während eines kurzen Tutorials nämlich in seine Finger kriegen, seine beschädigten Instrumente reparieren und ein SOS-Signal absetzen, wodurch die Rettungscrew direkt auf den Plan gerufen wird. Zeit für ein Happy End und den Abspann? Leider nicht, scheint das Schicksal doch in feinster Absturzlaune zu sein und befördert direkt das nächste Transportmittel unliebsam auf den Planetenboden, um einen zerstörerischen Highscore zu knacken.
Doch es bleibt noch ein kleiner Hoffnungsschimmer in Form eines unerfahrenen, aber couragierten Neulings, der bisher untätig in der Zentrale verweilte, nun jedoch unverhofft zum unverzichtbaren Helfer-Ass in Captain Olimars kleinem Ärmel avanciert. Bevor dieser aber seine Weltraumreise antreten darf, muss ich ihn mithilfe eines recht überschaubaren Charaktereditors zunächst zusammenbauen und entscheide mich dabei für die Körpergröße, das Gesicht, die Frisur sowie die Haar- sowie Outfitfarbe. Da sich die zur Verfügung stehenden Optionen stets an zwei Händen abzählen lassen, ist auch dieser Vorgang rasant abgeschlossen und Rekrut Dante steuert hochmotiviert seine bisher wichtigste Mission an.
Und da nicht immer aller guten Dinge drei sind und die technische Abteilung scheinbar doch ihr maschinelle Handwerk beherrscht, glückt die Landung sofort und die Suche nach den gestrandeten Verbündeten kann ohne weitere Umwege starten. Fans der Vorgänger wissen jedoch, dass PNF-404 zahlreiche Gefahren birgt, ein Marsch durch die verschiedenen Schauplätze also kaum als gemütlicher Spaziergang durchgeht. Erfreulicherweise muss Kadett Dante diesen Weg nicht allein beschreiten, sondern bekommt neben Rettungshund Otschin noch Unterstützung von den eifrigen Pikmin, die ihre anhängliche Helferrolle einfach nicht ablegen können und sich einen weiteren mit fiesen Feinden, dunklen Höhlen und allerlei Schätzen gefüllten Einsatz kaum entgehen lassen können.
Per Schatzsuche zum Glitzerium
Dass sich die Haupthandlung inhaltlich enorm minimalistisch präsentiert und fast vollständig auf nennenswerte Innovationen verzichtet, kommt nicht von Ungefähr. Immerhin fungiert diese anfangs eher als Sprungbrett in das Abenteuer und wird anschließend zum roten Faden umfunktioniert, der zwar den einen oder anderen nennenswerten Knotenpunkt aufweist, mich in erster Linie aber einfach nur ohne großes Aufsehen in Richtung Abspann lotsen soll. Kein Wunder, möchte sich doch auch Pikmin 4 nicht lange mit erzählerischer Raffinesse auseinandersetzen, sondern Weltraum-Neulinge und -Veteranen direkt mit dem herrlich unterhaltsamen Gameplay vertraut machen.
Aufgrund einer starken Orientierung an den drei Vorgängern fühlen sich loyale Serienanhänger dabei direkt heimisch. Wenig überraschend bilden die namensgebenden Pikmin nämlich auch bei diesem Abenteuer den spielerischen Dreh- und Angelpunkt und wollen von mir eingepflanzt, gepflückt und mit unterschiedlichen Aufgaben ausgestattet werden. Dementsprechend erkunde ich mit den kleinen bunten Helfern im Schlepptau weitläufige Gebiete und halte Ausschau nach glitzernden Kostbarkeiten, die mein Team dann auch direkt abtransportieren darf.
Hintergrund dieser Schatzsuche ist nicht etwa der Wunsch nach schnellem Reichtum, sondern das Ansammeln der wertvollen Energiequelle Glitzerium, die allen Gegenständen innewohnt und für das Aufwerten des ramponierten Raumschiffs benötigt wird. Also steuere ich von der Absturz-, beziehungsweise der zentralen Hub-Anlaufstelle aus unterschiedliche Schauplätze an, verinnerliche das unbekannte Terrain und identifiziere anschließend vielversprechende Orte, an denen sich gewinnbringende Reichtümer verstecken könnten. Ein altbekannter Gameplay-Loop, der auch bei der vierten Expeditionsrunde im Rampenlicht steht.
Natürlich macht mir auch Pikmin 4 das Erreichen meiner Ziele nicht einfach und wirft mir allerlei Hindernisse in Form klaffender Abgründe oder angriffslustiger Feinde in den Weg, um meine Glitzerium-Träume frühzeitig platzen zu lassen. Ein Glück darf ich meine Begleiter nicht nur als ein Mini-Transportunternehmen einsetzen, sondern gleichzeitig ihre kämpferischen und handwerklichen Fähigkeiten gehörig auf die Probe stellen. Gigantische Frösche wollen mich verspeisen? Dann werfe ich einfach einige Pikmin in seine Richtung und warte (oder hoffe), dass sie ihn rasant in die Knie zwingen. Eine Schlucht lässt mein Ziel unerreichbar anmuten? Einfach meinen Freunden das notwendige Material an die Hand geben und mich zurücklehnen, während eine stabile Brücke zusammengebaut wird.
Allerdings ist auch diese außerirdische Allzwecklösung mit einigen Rahmenbedingungen behaftet, deren Erfüllung gänzlich in meiner Hand liegen. Um die zuvor aufgeführten Aufgaben nämlich erfolgreich erfüllen zu können, ist es unverzichtbar, dass ich eine ausreichende Truppenstärke vorweisen kann. Logisch, kann ich doch theoretisch drei Kämpfer zum Duell schicken, darf bei einer Konfrontation mit einem deutlich größeren Widersacher dann aber auch keinen Sieg erwarten. Deswegen muss ich stets darauf achten, ausreichend Blütennarben und besiegte Feinde zu meiner intergalaktischen Zwiebel zu transportieren, damit diese neue Pikmin produzieren können. Die Videospielnatur ist wahrhaft faszinierend.
Zusätzlich muss ich stets die Tageszeit im Auge behalten und darauf achten, mit all meinen Begleitern pünktlich vor Nachteinbruch zum Hauptquartier zurückzukehren. Verliere ich einige aus den Augen und lasse sie hilflos zurück, heißt es leider: Auf Nimmerwiedersehen! Franchise-Kennern dürfte solch ein Countdown nicht nur bekannt vorkommen, sondern mit Blick auf den Erstling sogar direkt ein ungutes Gefühl sowie leichte Schweißausbrüche verpassen. Doch Beruhigung ist angesagt, immerhin tangiert der laufende Timer nur euer Alltagsprogramm, nicht aber das übergeordnete Abenteuer. Nach 30 Ingame-Tagen aus dem Geschehen gerissen und eventuell mit dem eigenen Versagen konfrontiert werden ist hier also nicht angesagt. Dennoch ist ausreichende Planung angesagt, um die eigens gesteckten Ziele stressfrei erreichen zu können.
Auf den gelben Rettungshund gekommen
Nun dürfte angenommen werden, dass glorreiche Erfolge vorprogrammiert sind, sofern ich meine Pikmin-Reihen – anfangs darf ich insgesamt 20 Helfer mit mir führen und diese Zahl durch das Einsammeln besonderer Knobknollen auf insgesamt 100 erhöhen – ausreichend gefüllt und habe und pünktlich zum Sonnenuntergang Feierabend mache. Ein Trugschluss, lässt es sich doch auch Pikmin 4 nicht nehmen, dem Abenteuer eine strategische Vielschichtigkeit zu verpassen und mich damit regelrecht zum durchdachten Taktieren zu zwingen.
Dabei spielt der Pikmin-Regenbogen zum wiederholten Male eine entscheidende Rolle. Dass sich meine Alien-Freunde nämlich in verschiedenen Farben präsentieren, kommt nicht von ungefähr, sondern steht in Verbindung mit ihren individuellen Fähigkeiten, die geschickt eingesetzt werden wollen. So sind rote Pikmin feuerresistent und teilen in Kämpfen ordentlich aus, blaue Pikmin sogar im tiefen Wasser in ihrem Element, rosa Flügel-Pikmin die Herrscher über die Lüfte und die neuen hellblauen Eis-Pikmin coole Zeitgenossen mit frostigen Einfrierkräften. Die spielerische Kniff: Ich darf nur drei Sorten in meiner Aufstellung inkludieren, muss mit Blick auf die aktuelle Umgebungen also genauestens abwägen, welche Farbzusammenstellung sich gerade anbietet.
Mehr Unterstützung gefällig? Dann steht auch Rettungshund Otschin als treuer Begleiter bereit und präsentiert sich nicht nur dank seines zuckersüßen Blicks und kuscheligen Fells als famoser Gruppenzuwachs. Immerhin stürzt sich der gelbe Wauwau bereits ab der ersten Mission hochmotiviert ins Geschehen und zerstört rissige Blockaden, attackiert fiese Schergen, greift beim Abtransport besonders wuchtiger Gegenstände unter die Helfer-Ärmchen und nimmt mit seiner geübten Nase die Fährte verborgener Schätze auf. Einfach nur ein guter Junge, dem ich mit ausreichend Training im voranschreitenden Spielverlauf sogar neue Tricks beibringen und meine Suchaktionen damit noch effizienter gestalten darf.
Aus dem Zusammenspiel zwischen den bunten Pikmin und Hund Otschin ergibt sich eine Vielzahl an strategischen Einsetzungs- und Kombinationsmöglichkeiten, die einen strenggenommen recht gradlinigen und zuweilen auch abwechslungsarmen Gameplay-Loop gelungen auflockern und mit ausreichend Motivation füllen. Eigene Taktiken auszutüfteln, diese direkt auf die Probe zu stellen und gegebenenfalls direkt an einigen Stellen zu optimieren macht nicht nur enorm viel Freude, sondern stellt zugleich sicher, dass ich gedanklich stets aufs Neue gefordert werde und dadurch potenzieller Ermüdung kaum zum Opfer falle.
Nächtliche Abenteuer mit den Leucht-Pikmin
Überhaupt möchte Pikmin 4 sicherstellen, dass drohende Langeweile kein Bestandteil des ausgedehnten Planetenbesuchs wird und peppt dafür auch die eigentlichen Erkundungszüge auf. Hierfür hat Nintendo nicht nur in die mit erprobten Elementen vollgepackte Serienschublade gegriffen, sondern stellt zugleich eine völlig neue, leicht unheimliche Tour vor, bei der vielleicht sogar einige Fans der ersten Stunden zunächst über sich selbst hinauswachsen müssen.
Den Anfang machen die mit dem zweiten Serienteil eingeführten Höhlenforschungen, bei denen ich mehrere Ebenen nach Schätzen und gelegentlich sogar hilfesuchenden Gestrandeten durchforste. Selbstredend lauern auch in den dunklen Tiefen einige Rätsel und angriffslustige Kreaturen, weshalb ich neben meinem festen Team – eine Notfall-Zwiebel lässt sich innerhalb des Höhlenkomplexes nämlich nicht vorfinden – auch wilde Pikmin optimal einsetzen muss, um wirklich jeden Winkel abklappern zu können. Da der Tagescountdown dabei langsamer abläuft, darf ich mir immerhin Zeit lassen und die Aufgabe mit kühlem Köpfchen angehen.
Anders sieht das Ganze bei den brandneuen Nachtexpeditionen aus. Ziel der mitternächtlichen Missionen ist das Einsammeln von heilendem Leuchtsaft, der in sogenannten Leuchtbauten auf natürlichem Wege hergestellt wird. Diese werden in der Dunkelheit jedoch von besonders aggressiven Feinden in die Mangel genommen, weshalb ich als undurchdringbare Abwehrmauer fungieren und jegliche Angriffsversuche zurückschlagen muss, bevor die hellen Lagerstrukturen in sich zusammenstürzen. Hilfe bekomme ich dabei von den ebenfalls neuen Leucht-Pikmin, die nur nachts auftauchen und sich bei Gefahr zu einem leuchtenden Ball zusammenrollen, der heranstürmende Gegner kurzzeitig blendet und damit aus dem offensiven Konzept bringt.
Während mir der übliche Gameplay-Loop bereits sehr viel Freude bereitet hatte, verwandelten sich diese nächtlichen Zusatzausflüge während des Tests schnell zu meinem persönlichen Highlight. Hier erwartete mich nämlich eine wahrlich anspruchsvolle Tower-Defense-Variation, die sich von der traditionellen Suchen-Finden-Abtransportieren-Formel entfernte und mich damit zum Umdenken, dem Aufbauen einer völlig neuen Strategie animierte. Neben der gemütlichen Schatzsuche und spannenden Höhlenforschung zusätzlich noch die bisher vollkommen aus dem Planetenspaziergang ausgeklammerten Abendstunden auf die Agenda setzen zu dürfen sorgt dann auch einfach für willkommenen frischen Wind, der ein wenig Abwechslung hineinweht.
Schmerzlinderung dank Rückspulfunktion
Zwar sorgt eben dieser Wind dann auch für eine angenehme Herausforderung, schwächt das wahrscheinlich größte Serienproblem dabei aber leider nur geringfügig ab. Denn auch dieses Mal verweilt der Schwierigkeitsgrad durchgehend auf einem niedrigen Niveau, verzeichnet höchstens gen Finale vielleicht einige kurze Anstiege. Vor allem Genre-Veteranen werden folglich kaum aus ihrer Komfort-Zone gelockt, kommen selbst bei den Konfrontationen mit gigantischen Bossen nie ins Schwitzen und müssen nach einer anderen Motivationsquelle Ausschau halten. Pikmin 4 wandert nämlich vielmehr auf dem schmalen Grat zwischen fair und fordernd, animiert dadurch vor allem Neulinge zu strategischen Höchstleistungen, macht um potenzielle Frustmomente jedoch zugleich einen weiten Bogen.
Dennoch kam es während meines Tests nicht selten vor, dass meine Konzentration dann ausnahmsweise mal doch nachließ und ausgeklügelte Schlachtpläne urplötzlich eklatante Fehlkalkulationen aufwiesen. Die niederschmetternde Folge: Vollkommen hilflos musste ich mit ansehen, wie meine Pikmin-Truppe binnen weniger Sekunden dezimiert wurde, konnte mich anschließend kaum von ihren gen Himmel aufsteigenden Seelen verabschieden, bevor diese im Nichts verpufften. Genau diese Situationen waren es dann auch, die mein eingangs erwähntes Gefühl des leichten Unwohlseins reaktivierten und einem eigentlich humorvollen Abenteuer einen bitteren Beigeschmack verpassten, der sich mit einem kunterbunten Look und lustigen Sounds kaum übertünchen ließ. Und mich bei einem bereits leicht angeschlagenen Nervenkostüm sogar spürbar gen Antriebslosigkeit zum Fortsetzen der derzeitigen Videospielsession lenkten.
Bereits mit Pikmin 1+2 versuchte Nintendo, diese Problematik auszuhebeln, geht mit Pikmin 4 allerdings noch einen Schritt weiter. Durfte ich beim Remaster des Erstlings nämlich auf Wunsch zu einem beliebigen Tag meiner Planetenexpedition zurückreisen, um schwerwiegende Fehltritte auszumerzen, steht mir beim aktuellen Ableger eine noch bequemere Rückspulfunktion zur Verfügung, mit der sich die Zeit mit sofortiger Wirkung und frei von jeglichen Konsequenzen um eine beliebige Minutenanzahl zurückspulen lässt. Anstatt also unnötig ausgedehnt im Saft meines Versagens braten und anschließend einen nervtötenden Wiederholungsmarathon hinlegen zu müssen, springe ich nach einem Duell mit katastrophalem Ausgang oder einer unliebsamen Begegnung mit einem heranrollenden Felsbrocken einfach drei Minuten in die Vergangenheit und wechsle zu Plan B. Oder entscheide mich einfach für eine ehrenhafte Flucht.
Solch eine Funktion mag zunächst wie eine zweischneidige Update-Klinge anmuten, wird dadurch doch nicht nur potenzieller Frust vermieden, sondern zugleich auch der niedrige Schwierigkeitsgrad unliebsam in Ketten gelegt. Allerdings handelt es sich hierbei um den einzig logischen Schritt, die kaum überwindbare Todesthematik der Reihe passend abzuschwächen und sich damit stärker dem Mainstream zu öffnen. Bleibt zu hoffen, dass Nintendo via Patch optionale Experten-Stufen nachliefert, die die Rückspulfunktion limitiert und das Survival-Feeling wieder herauskitzelt. Denn damit würden beide Lager erfolgreich abgeholt werden.
Enttäuschende Koop-Alternativen
Allerdings reichte ein gnädiger Schwierigkeitsgrad bei weitem nicht aus, um die zahlreichen Stärken der planetarischen Ressourcensuche vergessen zu machen. Keine Überraschung also, dass mich die Haupthandlung knapp 15 Stunden lang an die Switch fesseln und mich gelegentlich sogar zu einigen ausdehnten, in meinem hohen Alter jedoch leicht strapaziösen Videospielnächten bewegen konnte. Immerhin wollte ich so schnell wie möglich neue Schauplätze eröffnen, die Absturzstelle mit mehr Leben füllen und meine Schatzkammern mit einigen aberwitzigen Relikten füllen.
Umso erfreuter war ich, dass mich Pikmin 4 mit dem Abspann nicht gleich in die Astronauten-Arbeitslosigkeit entlässt. Innerhalb meines zu guter Letzt insgesamt 30-stündigen Tests durfte ich verborgene Geheimnisse entdecken, aus gesammelten Materialien hilfreiche Upgrades basteln, Nebenmissionen erledigen oder Gegner- sowie Schatz-Lexika akribisch auffüllen. All diese Aufgaben entfernen sich kaum vom eigentlichen Grundprinzip, lassen mich schlussendlich also einfach nur länger im bekannten Gameplay-Loop verweilen, haben dabei aber dennoch ausreichend Spielspaß-Dünger an Bord, um eine drohende Monotonie-Dürre frühzeitig aus dem virtuellen Garten zu verbannen.
Möchtet ihr die andauernden Erkundungstouren dann aber doch kurzzeitig pausieren, die Switch jedoch nicht aus der Hand legen, dürft ihr den Aufmerksamkeitsfokus dank der sogenannten Dandori-Duellen vollständig auf den Einsatz eures taktischen Könnens legen. Hier gilt es nämlich, innerhalb eines vorgegebenen Zeitlimits mehr Schätze und Kreaturen als der computergesteuerte Rivale einzusammeln und damit nicht nur als Sieger hervorzugehen, sondern mit einem stattlichen Punktevorsprung auch noch eine glänzende Platin-Medaille zu gewinnen. Okay, eine bronzene Auszeichnung reicht für den gewünschten Triumph natürlich schon aus, aber... wer gibt sich damit bitte schon zufrieden?
Die Dandori-Duelle lassen sich sogar direkt über das Hauptmenü ansteuern, dürfen folglich auch abseits der Kampagne als eine Art Übungsplatz zum Ausarbeiten und Verbessern der eigenen Vorgehensweise genutzt werden. Erweist sich der Computer dann doch als schier unüberwindbare Hürde, darf ein Mitspieler zum Helfer ernannt werden. Und wer auf Zusammenarbeit pfeift und lieber krachende Niederlagen verteilt, fordert den menschlichen Partner direkt zum Gefecht heraus und liefert sich einen oftmals erbitterten, dabei aber auch herrlich geselligen Punktekampf. Eine grandiose Neuerung, die ebenfalls kaum als innovativ bezeichnet werden darf, dafür aber mit einer fantastischen Integrierung in das spielerische Gesamtkonzept punktet.
Gravierender Wermutstropfen: Die Dandori-Duelle sind zugleich auch das höchste der Mehrspielergefühle. Denn anstatt die von Fans sowie Journalisten gleichermaßen gelobte Koop-Kampagne von Pikmin 3 Deluxe einfach zu übernehmen, fährt Nintendo diesen Part in Pikmin 4 brachial gegen die Wand und wirft mir vor dem enttäuschenden Aufprall eine fast schon freche Alternative entgegen. Euer Gaming-Buddy soll euch bei eurem Abenteuer begleiten? Kein Problem! Dann darf dieser euch beim amüsanten Planetenspaziergang beobachten und per Cursor Steine auf lauernde Gegner schmeißen oder in kritischen Momenten Gegenstände einsetzen, um helfend einzugreifen. Ein heftiger Rückschritt, der nicht nur lahm klingt, sondern in der Praxis auch enorm öde ausfällt. Wie schon beim Schwierigkeitsgrad sollte Nintendo hier alsbald einen Patch oder DLC nachlegen, um das bisherige Koop-Niveau wieder zu erreichen. Die Daumen sind gedrückt.
Absolute (Serien-)Spitze
Beim Verfassen dieser Zeilen korrigierte ich mehrmals den gewählten Wortlaut, wollte ich meiner Schimpftirade doch nicht zu viel Frustration injizieren und dadurch den Eindruck erwecken, dass ausbleibende Mehrspielerfreuden Pikmin 4 das Unterhaltungsgenick brechen. Denn obwohl dieser Nachteilstachel augenscheinlich tief sitzt, birgt die Planetenreise genügend Stärken, Liebe und Brillanz, um über den Schmerz hinwegzutäuschen und den positiven Gesamteindruck deutlich überwiegen zu lassen.
Vor allem auf der Switch OLED erblüht die farbenfrohe Spielwelt in einem besonderen Glanz, der von kreativen Charakter- und Gegnermodellen, detailverliebten Umgebungen sowie gelegentlich fast schon fotorealistischen Schätzen gekonnt flankiert und in seiner Wirkungskraft dadurch potenziert wird. Nicht selten kam es vor, dass ich mein forscherisches Treiben für einige Sekunden pausieren musste, um ein liebevoll aufpoliertes Element der aktuellen Landschaft zu begutachten und schwärmend zu verinnerlichen. Dabei stolperte ich manchmal zwar auch über einige matschige Texturen, konnte diese nach einem kurzen Schulterzucken aber direkt wieder aus meinem Gedächtnis streichen.
Erneut kombinieren die Entwickler diesen visuellen Augenschmaus mit zauberhaften Melodien und beruhigenden Naturklängen und massierte regelrecht meine Seele. Zumindest in den Momenten, in denen ich mich nicht händeringend gegen einen aufdringlichen Angreifer behaupten und meine Mini-Freunde um jeden Preis verteidigen musste. Doch selbst oder vielleicht sogar gerade besonders in diesen Momenten wurde mir auf dem technischen Silbertablett präsentiert, wie viel Fürsorge und Feinschliff in den erneuten PNF-404-Besuch investiert wurde. Framerate-Einbrüche, Bugs oder Abstürze? Unliebsame Wegebegleiter, denen der Zutritt in das Raumschiff strengstens untersagt wurde, weshalb ich diesen während meines Tests überhaupt nicht begegnete.
Dass Nintendo das Franchise trotz einer ausbleibenden Verkaufsexplosion nicht einfach aus Eis gelegt, sondern mit solch einem Eifer spielerische und technische Verbesserungssprünge forciert hat, verdient Respekt. Und das Endresultat kann sich dann auch tatsächlich sehen lassen: Pikmin 4 unterstreicht als unbestreitbarer Serienhöhepunkt, dass die mittlerweile über zwei Jahrzehnte überdauernde Reihe neben hauseigenen Gaming-Kollegen wie The Legend of Zelda oder Mario kein Schattendasein fristen muss, sondern mit einer stimmigen Genre-Mischung aus Echtzeit-Strategie, Adventure und Action stolz eine eigene Videospielnische ausfüllen und damit loyale Fans sowie interessierte Neulinge gleichermaßen begeistern kann. Mögen sich all diese Bemühungen (verdientermaßen) in den Charts der kommenden Monate zeigen – und uns die humorvollen Schatzsuchen mit den wuseligen Mini-Helfern noch für viele weitere Ableger erhalten bleiben.
Fazit
Pikmin 4 beweist, dass Nintendo bei der Entwicklung einer Fortsetzung definitiv keine halben Sachen macht, sondern ambitioniert nach den Sternen – oder in diesem Fall nach den geheimnisvollen Pflanzenplaneten – greift. Bei der unterhaltsamen Rettungsmission auf unbekanntem Terrain handelt es sich nämlich nicht einfach nur um einen halbgaren Nachfolger, sondern um ein rundum aufpoliertes und sinnvoll erweitertes Abenteuer mit den ikonischen Mini-Helfern, das weder Fans noch Neulinge verpassen sollten.
PNF-404 im Rahmen einer umfangreichen Schatzsuche vollständig auf den Kopf zu stellen, garstige Widersacher in die Knie zu zwingen und verborgene Geheimnisse zu enthüllen macht weiterhin enorm viel Freude und fesselt problemlos für knapp 30 Stunden an die Switch. Dank neuer Pikmin, Hund Otschin und einer Reihe hilfreicher Upgrades ergeben sich zudem etliche Strategiemöglichkeiten, mit denen ich meine individuelle Taktik zusammenbauen und diese in den teils fordernden Dandori-Duelle auf die Probe stellen darf. Und dank einer bequemen Rückspulfunktion werden dann auch Genre-Muffel und Serien-Einsteiger an die Hand genommen, werden fatale Rückschläge doch nicht direkt mit einem katastrophalen Pikmin-Verlust bestraft.
Enttäuschende Mehrspielermodi, die den Wegfall der herausragenden Koop-Missionen kaum abfedern können, sowie das Fehlen fordernder Schwierigkeitsstufen verpassen der Unterhaltungskurve zwar ein temporäres Stimmungstief, können Pikmin 4 den Status als unbestreitbarer Franchise-Höhepunkt aber auch nicht mehr nehmen. Hier wurden nämlich fast alle Stärken der Vorgänger in einem wundervollem Erlebnispaket vereint, das zudem mit stimmigen Gameplay-Elementen angereichert und mit einer zuckersüßen Optik dekoriert wurde. Der beste Beweis, dass sich das Entwicklerteam gemeinsam mit Shigeru Miyamoto ausreichend Gedanken über die bisher ernüchternden Verkaufszahlen gemacht und diese Problematik mit dem vierten Teil konsequent bei der Wurzel packen wollte. Bemühungen, die spätestens jetzt belohnt werden dürfen – denn nach vielen Jahren im Schattendasein verdien sich die Pikmin endlich ihren gebührenden Platz in der Videospielsonne.
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