
Eine lohnende Zeitinvestition in eine glorreiche JRPG-Zukunft (und -Vergangenheit).
Würde ich meinen Videospielkonsum mittlerweile als Sucht bezeichnen? Gäbe es eine magische App, die mir meine Gesamtspielzeit seit meiner Kindheit präsentiert, würde ich an einem bejahenden Kopfnicken kaum vorbeikommen. Kein Wunder, stürze ich mich doch nach wie vor vollends begeistert in kurze sowie ausufernde Gaming-Abenteuer, die gerne auch mal zu gigantischen Sagen ausarten können und somit einen Großteil meiner Freizeit schlucken. Da Ausnahmen allerdings die Regel bestätigen, muss hier eine Reihe hervorgehoben werden, blieb mir diese trotz einer eindeutigen Faszination bisher doch gänzlich versperrt: die mittlerweile zwei Jahrzehnte alte Trails-Serie.
Meine persönlichen Gründe dürften dabei recht nachvollziehbar sein. 2010 stolperte ich über die zu diesem Zeitpunkt bereits stattliche JRPG-Sammlung und wurde schlagartig verwirrt. Hier ist die Trails-Serie mit verschiedenen Ablegern, die allerdings in unterschiedliche Story-Arcs unterteilt sind? Und es gibt noch eine übergeordnete Reihe, die auf den Namen The Legend of Heroes hört, die drei Unterserien Trails, Dragon Slayer und Gagharv aber eher voneinander trennt? Wo genau soll ich denn nun anfangen, um das Gesamtbild möglichst rasant begreifen zu können? Leider wurde ich mit dieser alles entscheidenden Frage alleingelassen, weshalb sich mein Interesse verflüchtigte und die zahlreicher Nachfolger eher unter meinem Radar vorbeiflogen.
Mit dem in Japan bereits 2021 für die PlayStation 4 veröffentlichten The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak präsentierte mir das Entwicklerstudio Nihon Falcom sowie der Publisher NIS America dann aber doch die Chance, den verpassten Einstieg nachzuholen und etwaige Wissenslücken in der Rollenspielhistorie zu stopfen. Zwar mochte sich der (aus europäischer Sicht) aktuelle Ableger nämlich weiterhin in der mühselig aufgebauten Welt abspielen, öffnete jedoch ein brandneues Handlungsfenster inklusive bisher unbekannter Akteure. Eine Chance, die ich selbstverständlich wahrnehmen musste und mich hochmotiviert in einen kleinen Test-Marathon stürzte, um einer Frage auf den Antwortgrund zu gehen: Handelt es sich hier tatsächlich um den perfekten Einstieg für Neulinge?
Ein Spriggan für alle moralischen Grauzonen-Fälle
Wir schreiben das Jahr 1208. Für die Republik Calvard eine wichtige Zeit der Erholung, markiert sie doch das Ende eines ebenso schrecklichen wie auch kurzen Krieges und den Beginn eines beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwungs, der zumindest ansatzweise über die niederschmetternde Phase hinwegtröstet. Allerdings scheint auch dieser Frieden nur auf wackeligen Beinen zu stehen, mischen sich in diese Positivität doch rasant erste Zweifel, die rasant zu ernstzunehmenden Problemgeschwüren auszuwachsen scheinen.
Neben einer Reihe fragwürdiger politischer Reformen ist es auch die urplötzlich ansteigende Anzahl an Einwanderern, die die Bevölkerung verunsichert und dafür sorgt, dass der herbeigesehnte Sonnenschein von dunklen Wolken verdeckt wird. Ohne Vorwarnung droht die eigentlich gefestigt erscheinende Nation die neugewonnene Stabilität zu verlieren und in eine erneut dunkle Zeit abzurutschen, die wirklich niemand herbeisehnt.
All das sind jedoch Probleme, auf die der Spriggan – eine durchdachte Fusion aus Detektiv und Kopfgeldjäger – Van Arkride getrost pfeift. In seiner zwielichtigen Funktion kümmert er sich lieber um die am Rande der Illegalität liegenden Aufträge, deren Erfüllung möglichst ein wohlbehütetes Geheimnis bleiben sollen und der Marsch zu den öffentlichen Behörden somit zur Unmöglichkeit wird. Ein Leben, mit dessen Eintönigkeit sich Van früh abgefunden hat und in seinem heruntergekommenen Büro darauf wartet, welche Mission ihn wohl als nächstes erwarten wird. Bis die Ankunft einer jungen Damen sein komplettes Leben auf den Kopf stellt.
Dabei scheint Agnès Claudels harmlos erscheinende Bitte zunächst überhaupt nicht in den akzeptablen Wichtigkeitsrahmen des geübten Spriggan zu fallen. Sie ist nämlich auf der Suche nach einem entwendeten Artefakt ihres verstorbenen Urgroßvaters, ist diesem Ziel allein jedoch keinen Schritt nähergekommen und muss somit auf schlagkräftige Hilfe zurückgreifen. Nach kurzem Zögern lässt Van seinen strengen Richtlinien dann allerdings dennoch fallen und löst damit eine regelrecht Ereigniswelle aus, die in ein turbulentes, zeitweise gar lebensbedrohliches Abenteuer mündet. Denn nicht nur, dass die Auftraggeberin einige Geheimnisse verbirgt, die Jagd nach dem begehrten Schatz konfrontiert die beiden sogar mit mächtigen Feinden – und ist höchstwahrscheinlich sogar mit dem Schicksal der gesamten Nation verknüpft.
Wirklich der perfekte Einstiegspunkt?
Normalerweise würde ich zu Beginn eines Tests ausführlicher auf die Handlung eingehen, mich noch intensiver mit dem Setting sowie den Hauptcharakteren auseinandersetzen. Bei The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak habe ich mich jedoch bewusst dagegen entschieden, da wahre JRPG-Fans (und vor allem Serien-Neueinsteiger) möglichst unberührt in diese komplexe Welt eintauchen sollten. Denn was diese hier erwartet, hat sich die Bezeichnung epische Saga redlich verdient.
Dass sich Nihon Falcom beim Aufbau der Welt enorm viel Mühe gegeben und diese mit etlichen erzählerischen Feinheiten sowie moralischen Nuancen gefüllt hat, dürfte vor allem Kenner kaum verwundern, glänzten doch bereits die unzähligen Vorgänger mit dieser Stärke. Allerdings handelt es sich nun eben nicht um eine Fortsetzung, sondern (abseits kleinerer Ausnahmen) um einen Neuanfang, der eine völlig neue Spielwiese eröffnet und diese mit heldenhaften Persönlichkeiten füllt. Und eben diese Aufgabe wurde erstklassig gemeistert und der Neustart mit dem gewohnt hohen Niveau und einer grandiosen Detailverliebtheit vollzogen.
Mangelnde Konzentration ist hier fehl am Platz, vielmehr muss man von der allerersten Minute an wach bleiben, um keinerlei Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren und keinen wichtigen Geschichtsbaustein zu verpassen. Ausgeschlafen sollte man auch für die teils ausufernden Dialoge sein, da diese gerne einmal die Dimension eines Romans annehmen und das Gaming-Gehirn damit mitunter fordern. Hätte man das Skript hier und da ein wenig stutzen und Füllmaterial rausschneiden können? Definitiv. Gleichzeitig muss festgehalten werden, dass wirklich alle Gespräche ihre Relevanz haben, zuvor etablierte Elemente mit Leben füllen und wissbegierige RPGler somit zumindest nicht langweilen dürften.
Vollkommen begeistert war ich jedoch von der Tatsache, dass es sich beim hochgepriesenen perfekten Einstiegspunkt nicht einfach nur um fadenscheiniges Marketing-Blabla handelt, sondern dass The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak tatsächlich ohne jegliche Vorkenntnisse in vollen Zügen genossen werden kann. Zugegeben, kleinere Cameos verlieren dadurch zwar ihre Wirkung und auch das gezielte Einflechten der Calvard-Saga in den gigantischen Handlungsteppich wird kaum verstanden, zumindest ergibt sich dadurch allerdings keinerlei Verwirrung, sondern vielmehr die Vorfreude, in ferner Zukunft in die anderen Kapitel einzusteigen und die fehlenden Puzzleteile aufzusammeln.
Das Gefühl, dass ich an der Seite von Van, Agnès und weiteren Verbündeten der Teil einer großen Erzählung werde, regelrecht in einen imposanten Handlungsozean eintauche, ist in Kombination mit schockierenden Wendungen, tragischen Schicksalen und auch humorvollen Momenten dann auch der Hauptgrund, weshalb mich allein die Story problemlos von Anfang bis Ende tragen und Langeweile bis zum Abspann bravourös abwehren konnte. Mit jedem Schritt wollte ich einfach mehr erfahren, mein The Legend of Heroes-Lexikon mit weiteren Begriffen füllen, den Helden emotional noch näher kommen. Ein wichtiger Punkt, der spielend leicht von der RPG-Checkliste gestrichen werden darf.
Moralische Entscheidungen mit Konsequenzen
Strenggenommen dürfte man dann auch gleich den nächsten Punkt von der Checkliste streichen, orientiert sich das grundlegende Gameplay doch an der üblichen Genre-Kost und erfindet das Rad oberflächlich betrachtet kaum neu. Im Laufe eines Prologs und den folgenden sechs Kapiteln, die wiederum in mehrere Tage unterteilt sind, bereise ich die Region, erkunde dabei verschiedene Städte, arbeite eine lange Aufgabenliste ab und kämpfe mich durch allerlei Dungeons, wobei ich nicht nur zur Worten, sondern wenig überraschend auch zu meinen Waffen greifen muss. Dazu allerdings erst später mehr.
Bedeutend wichtiger ist aber die Freizeit, die nach einen harten Spriggan-Arbeitstag eingeläutet wird und mir die Freiheit gibt, mich um all die zur Verfügung stehenden Nebenbeschäftigungen zu kümmern. Abseits lockerer Spaziergänge durch die verschiedenen Schauplätze und dem Abklappern eventuell verpasster Winkel (immerhin könnten hier noch einige Schätze lauern), freute ich mich dabei vor allem über die Möglichkeit, meine Begleiter im Rahmen privater Interaktionen noch besser kennenzulernen. Auch dieses Element stellt keine Innovation dar – weder im Genre noch in der übergeordneten Serie –, ist allerdings auch dieses Mal wieder mit ausreichend Inhalt und wissenswerten Informationen befüllt, um sich als ebenso unterhaltsamer wie auch sinnvoller Zeitvertreib zu etablieren.
Dennoch darf man The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak auch keinen vollständigen Stillstand vorwerfen, wurden die Side Quests doch nicht nur spannend weiterentwickelt, sondern zudem gefuchst mit einem Kernthema der Haupthandlung verknüpft. Immer wieder werde ich hier nämlich mit moralisch facettenreichen Situationen konfrontiert, in denen ich mich in Van und seine Funktion als Spriggan hineinversetzen und genauestens überlegen muss, welche Lösung in meinen Augen die einzig vertretbare ist. Klingt simpel, wird dann aber doch herausfordernd, wenn man nicht das gesamte Bild kennt und diese Entscheidung mit einer löcherigen Beweislage vollkommen spontan treffen muss.
Wie soll ich mit heimtückisch handelnden, aber mit nachvollziehbaren Motiven ausgestatteten Dieben agieren? Treu dem Gesetz folgen und sie direkt verpfeifen? Wahnwitzig lachend auf völliges Chaos setzen und vor jeglichem Verbrechen die Augen verschließen? Oder mich in die für Spriggans enorm relevante Grauzone begeben und versuchen, einen Mittelweg zu finden. Wichtig: Hierbei handelt es sich nicht nur um künstlich aufgedrückten Schnickschnack, sondern um eine gezielte Beeinflussung des Ausrichtungssystems, das je nach meinen Entscheidungen zwischen den drei Stufen Gesetz, Grau und Chaos umherhüpfen kann.
Direkt in Schweiß ausbrechende JRPG-Fans dürfen direkt beruhigt aufatmen, denn weder die eigentliche Haupthandlung noch das Ende werden dadurch beeinflusst. Hier muss also niemand befürchten, durch zwei falsche Aktionen urplötzlich den schlechten Abschluss zu erreichen und die gute Variante dann nur via YouTube erleben zu dürfen. Vielmehr verändert sich dadurch Vans Status in den Städten, die Sicht der Bevölkerung auf den impulsiven Spriggan und somit auch die zur Verfügung stehenden Dialog- und Kooperationsmöglichkeiten. Eine geschickte Entwicklerentscheidung, gerate ich diesen Situationen dadurch nämlich nicht unter Druck, mir das weitere Abenteuer zu versauen, sondern folge einfach meinem Herz und Verstand – und blicke anschließend gespannt und vollkommen stressbefreit auf die Konsequenzen meines Handelns, die erfreulicherweise oftmals mit Belohnung in Form von Geld und Verbesserungen behaftet sind.
Rundenbasiert oder Action: Ihr habt die Wahl!
Nun marschiere ich mit Van, Agnès und Co. natürlich nicht einfach nur gemütlich durch die Gegend, halte freundliche Pläuschchen und löse gelegentlich kleinere Alltagsprobleme, sondern muss mich zugleich regelmäßig gegen fiese Widersacher erwehren und dabei zu meinem umfangreichen Waffenarsenal greifen. Und was wäre ein waschechtes Rollenspiel ohne rundenbasierte Kämpfe? Okay, heutzutage fällt die Antwort nicht mehr so eindeutig aus, allerdings haben wir hier eine mittlerweile zwei Jahrzehnte alte Serie vor uns, weshalb Fans auch bei The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak von den genretypischen Duellen begrüßt werden.
Wer in den letzten Jahren passiver oder aktiver Zeuge eines JRPGs wurde, dürfte sich dank auf den ersten Blick rudimentärer Funktionen direkt heimisch fühlen. So nehme ich einen in freier Wildbahn stets sichtbaren Gegner ins Visier und wechsle mit einem Schwerthieb in den Kampfmodus, in dem ich die Kontrolle über ein 4er-Team übernehme. Abwechselnd führe ich verschiedene Aktionen aus, achte dabei auf eine durchdachte Mischung aus Angriff und Abwehr und versuche die Schwachstellen meiner Rivalen herauszufinden, um möglichst rasant den Sieg einzufahren. Taktische Kniffe sind dabei ebenfalls zu beachten, beispielsweise darf ich meine Helden im Rahmen eines vorgegebenen Bewegungsradius hin- und hersteuern und in die Nähe eines Verbündeten bringen, damit diese gemeinsam eine mächtige Sonderfähigkeit entfesseln können. Ein ratsames Vorgehen, wird das unüberlegte Ausführen beliebiger Aktionen doch nur selten von Erfolg gekrönt.
Doch auch diesen Aspekt hat das Team von Nihon Falcom nicht blind übernommen, sondern mit dem Hinzufügen einer optionalen Action-Variante erstklassige Dynamik in den Kampfsystem gebracht. Wem die rundenbasierten Kämpfe nämlich stinken, darf (oftmals) auf diese verzichten und via Knopfdruck in den Action-Modus schalten, in dem ich meine Helden frei steuern und per Knopfdruck leichte und starke Attacken sowie Ausweichmanöver ausführen lasse. Vor allem gegen harmlose Standardgegner bringt diese Variante erfreulich viel Tempo ins Geschehen und garantiert, dass mein abenteuerlicher Flow nicht urplötzlich ausgebremst wird.
Nach Belieben darf ich sogar zwischen den beiden Modi herumwechseln und meinen persönlichen Stil dadurch verfeinern. Schade nur, dass die neue Variante in puncto Möglichkeiten recht mager ausfällt und unterm Strich doch eher zur stupiden Buttonsmash-Orgie mutiert. Im Zusammenspiel mit der rundenbasierten Option und der Hoffnung, dass folgende Serienteile dieses Fundament weiter ausbauen werden, ergibt sich dann aber dennoch ein toller Unterhaltungsfaktor, der Monotonie geschickt ausklammert.
Schwindelerregende Upgrade-Vielfalt
Bei The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak ist es enorm wichtig, den oberflächlichen Blick höchstens als Anfangspunkt für eine genauere Betrachtung zu verstehen und daraus nicht erste Schlüsse zu ziehen. Vor allem die rundenbasierten Kämpfe wirken zunächst nämlich recht innovationsarm, werden hinter den Kulissen jedoch von einem komplexen Upgrade-System getragen, das nicht nur in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt, sondern zugleich als wichtiger Nährboden für einen taktischen Strategie-Spielplatz zu verstehen ist.
Fester Bestandteil sind logischerweise im ersten Schritt die Erfahrungspunkte, die ich für das Erfüllen von Aufgaben oder das Besiegen mächtiger Feinde kassiere und mich dadurch früher oder später über einen Stufenanstieg sowie eine Verbesserung meiner Statuswerte erfreue. Besonders cool: Parallel darf ich meine Helden auch mit sogenannten Holo Cores ausstatten, die sich am Erfahrungsregen ebenfalls erfreuen und damit die Levelleiter nach oben klettern können. Neben einem Magie- und EXP-Boost schalten die Holo Cores verschiedene kämpferische Vorteile – darunter beispielsweise gesteigerte Angriffs- sowie Abwehrkräfte, regenerative Fähigkeiten oder optimiertes Ausweichen – frei, bieten mir also die Chance, individuelle Schwächen meiner Charakterriege zielgerichtet aus der Welt zu schaffen.
Flankiert wird das System von den Quarzen, mit denen Serienkenner bereits vertraut sein dürften. Diese lassen sich finden, käuflich erwerben oder selbst zusammenbauen und entfesseln durch neue Kräfte und Status-Upgrades weitere unverzichtbare Vorteile. Aufgrund elementarer Einteilungen spielt die Zusammenstellungen jedoch eine wichtige Rolle, sind doch nicht alle Kombinationen möglich, während der richtige Mix starke Skills freischaltet, die auch abseits des Schlachtfelds als unverzichtbare Hilfestellung fungieren. Hobby-Strategen kommen also zweifelsfrei auf ihre Kosten und finden im Laufe des Abenteuers stets Taktik-Bereiche, die mit einer gewissen Nachjustierung weiter perfektioniert werden dürfen.
Wem das noch nicht reicht, der bekommt von Nihon Falcom noch die Arts Driver spendiert, letztlich bereits zusammengestellte Magiespruch-Paletten, mit denen ich meine Kämpfer frei ausrüsten darf. Zusätzlich sind einige Bretter dann auch noch mit freien Slots ausgestattet, die ich mit weiteren übernatürlichen Fähigkeiten füllen und etwaige Löcher in meinem (zu diesem Zeitpunkt sicherlich vollständig ausgearbeiteten) Strategieteppich flicken darf. Lange Rede, kurzer Sinn: Die rundenbasierten Kämpfe mögen bei den spielerischen Basics beginnen, bekommen dank etlicher Upgrade-Möglichkeiten ausreichend Tiefgang spendiert und sorgten bei mir damit unweigerlich zum regelmäßigen Stillstand – immerhin musste ich stets sicherstellen, dass ich irgendeine Verbesserung nicht einfach übersehen hatte.
Umso schmerzhafter ist es dann, dass The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak die neuen Action-Kämpfe eher stiefmütterlich behandelt und sie in puncto Spielspaß und Notwendigkeit damit unfreiwillig in die zweite Reihe drückt. Abseits der bereits beschriebenen Manöver bietet dieses Variante nämlich keinerlei Besonderheiten mehr, kratzt also tatsächlich nur an der Gameplay-Oberfläche und wird vor allem ab der zweiten Spielhälfte dadurch ein wenig dröge. Ja, dieser Modus wurde hier eingeführt, läuft dementsprechend noch in Kinderschuhen und wird in Zukunft zweifelsfrei ausgeweitet. Dennoch wäre es schön gewesen, wenn bereits in der ersten Runde etwas mehr Inhalt am Start gewesen wäre, um beide Kampfmodi noch vielfältiger miteinander verknüpfen zu können.
Langsam wird es Zeit für neue Hardware, Nintendo!
Bereits während der ersten Spielstunde schien The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak kein Geheimnis daraus machen zu wollen, dass der Switch-Port an zweiter Prioritätsstelle stand und folglich nicht das komplette Optimierungspotenzial ausgeschöpft wurde. Neben einer während der Zwischensequenzen und Stadtspaziergängen gerne einmal einbrechenden Framerate fielen mir neben kleineren Grafikmacken und flimmernden Kanten vor allem die viel zu kleinen Texte aus, musste ich im Handheldmodus doch gelegentlich die Augen leicht zusammenkneifen, um diese richtig lesen zu können. Schade, dass sich das Team hier nicht von zahlreichen Genre-Kollegen hat inspirieren lassen und auf einstellbare Schriftgrößen via Optionsmenü gesetzt hat. Ein Versäumnis, das vielleicht ein Patch irgendwann regeln wird.
Erfreulicherweise degradieren all diese Mängel die Switch-Fassung nicht etwa zu einem unspielbaren Daumenkino, sondern unterstreichen höchstens, dass die Hardware mittlerweile definitiv angestaubt ist und dringend ein 2.0-Update benötigt. Abgesehen von den Schwächen macht das Abenteuer in der Republik Calvard nämlich eine gute Figur und überzeugt dabei vor allem mit hübschen Schauplätzen, effektreichen Kämpfen und schicken Charaktermodellen, die zwar allesamt nur selten das Niveau eines Titels der aktuellen Konsolengeneration erreichen, unterm Strich aber dennoch ein zufriedenstellendes Gesamtbild abgeben und kombiniert auch nicht in unangenehme Ladezeiten ausarten.
Und bevor Framerate-Anhänger aufgrund meiner anfänglichen Kritik den käuflichen Erwerb vollkommen gefrustet in den gedanklichen Mülleimer werfen, möchte ich auch diese Situation nochmal entschärfen: Ja, stellenweise mag diese sichtbar einbrechen, glänzt allerdings hauptsächlich mit bravouröser Stabilität und verwandelt dadurch vor allem die Duelle zu einer überraschend geschmeidigen Wohltat, bei denen auch die eleganten Animationen (ausgenommen einiger Holzklotz-Momente während ausgewählter Konversationen) zur Geltung kommen.
Im musikalischen Bereich erlaubt sich The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak derweil kaum nennenswerte Fehltritte. Kein Wunder, wurde das vierköpfige Komponisten-Team doch aus Veteranen der Reihe zusammengestellt, weshalb der akustische Stil treffend eingefangen wurde, dabei jedoch ausreichend Raum für neue Melodien bleibt, die der ohnehin schon vollen Welt zusätzliches Leben verleihen. Und auch die japanischen und englischen Sprachausgaben punkten mit einer vortrefflichen Sprecherwahl, passen die Stimmen doch allesamt zu ihren jeweiligen Charakteren und statten diese zudem mit glaubwürdigen Emotionen aus. Vorwiegend in humorvollen Momenten zeigt sich allerdings wieder eine Tatsache, die ich gefühlt in jedem JRPG predige: Wer mit dem Lesen von Untertiteln keinerlei Probleme hat, sollte sich nämlich definitiv für die japanische Variante entscheiden, da die qualitativ eine klitzekleine Nasenlänge weiter vorne liegt.
Der Sprung in das große Serien-Universum
Knapp 60 Stunden brauchte ich, um das Ende der epischen Reise zu erreichen, wobei ich mich nur selten von Nebenaufgaben, verborgenen Dungeonwinkeln und anderen Verführungen habe ablenken lassen – immerhin wusste ich, dass irgendwann auch dieser Test geschrieben werden muss und niemandem damit geholfen ist, wenn dieser Anfang 2025 das Licht der Welt erblicken würde. Folglich konzentrierte ich mich primär auf die Haupthandlung und erlebte ein Abenteuer, das mich täglich für zwei, drei Extrastunden an die Switch fesselte und mich kaum mehr losließ.
Anschließend nach ich mir noch die Zeit, verpasste Side Quests anzugehen, komplett ignorierte Landstriche zu erkunden oder einfach nur weiter an den Statuswerten meiner Truppe zu arbeiten, um völlig neue Kräfte-Meilensteine zu erreichen. Schlussendlich erreichte mein Timer gut 80 Stunden, wobei ich immer noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatte und vielmehr resignierend das Handtuch warf. Allerdings nicht, weil mir die Geschichte von Van und Co. zum Halse raushing, sondern weil der anstehende Test wie ein Damoklesschwert über mir hing und weitere Ausflüge einfach nicht mehr zielführend waren. Ich bin mir aber sicher, dass ich problemlos an die 100-Stunden-Marke herangekommen wäre und kaum eine Minute wirklich bereut hätte.
Nun bleibt jedoch die Frage, ob sich solch ein enormes Zeitinvestment überhaupt lohnt. Vor allem, wenn man bedenkt, dass The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak für Anfänger gerade erst den Startpunkt darstellt, ein direktes Sequel bereits angekündigt ist und all die umfangreichen und handlungstechnisch ebenfalls relevanten Vorgänger auch noch freudestrahlend auf ein Durchspielen warten. Nachdem ich mich fast drei Wochen lang ausschließlich dieser Saga gewidmet habe, mein Gaming-Kosmos sich einzig auf Calvard beschränkte und keinerlei Ausnahmen erlaubt waren (immerhin tickte die Review-Uhr stetig mit), kann ich die eröffnende Frage mit einem eindeutigen „Ja“ beantworten.
Nihon Falcom erwarten wir Aufopferung von den Fans, belohnt sie allerdings mit einer erzählerisch regelrecht vollgestopften Welt, in dessen Kern eine völlig neue Geschichte beginnt, deren Zeuge ich werden darf – und das Drumherum noch überhaupt nicht kennen muss, um gänzlich einzusteigen und nicht ständig mit gigantischen Fragezeichen konfrontiert zu werden. Ganz im Gegenteil: In den seltenen Momenten, in denen ich einen Verweis auf ältere Titel oder einen mir unbekannten Cameo vermutete, wuchs in mir direkt die Lust, zu einem der Vorgänger zu greifen und die Wissenslücke ohne Umwege zu schließen. Ob das nicht eventuell zu viel mehr Verwirrung führen würde? Vielleicht. Doch zeigt genau dieses Kribbeln in meinen Fingern, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits mittendrin war und die Trails-Reihe mich fest in ihrem Bann hatte.
Manchmal hat man als Gamer einfach Lust auf einen kurzen Snack, ein lockeres Erlebnis, das sich am Wochenende schnell beenden und anschließend wieder ins Regal stellen lässt. Es gibt aber auch die Momente, in denen man sich endlich mal wieder verlieren, sympathische Charaktere näherkennenlernen, möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen und den Lauf des Schicksals an ihrer Seite verändern möchte. Wer von diesem Gefühl heimgesucht wird und auch nur ein Fünkchen JRPG-Liebe verspürt, kommt an The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak eigentlich überhaupt nicht vorbei. Und erhält damit nicht nur eine packende Gegenwart, sondern zugleich eine vielversprechende Zukunft und eine wochenlang an die Konsolen fesselnde Vergangenheit.
Fazit
The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak präsentiert sich nicht nur als fulminanter Beginn einer brandneuen Story-Arc inmitten eines gigantischen Handlungsgeflechts, sondern zugleich auch als phänomenaler Einstiegspunkt für alle zaghaften Gamer, die die epische und mittlerweile aus zahllosen Ablegern bestehende JRPG-Saga bisher eingeschüchtert gemieden haben. Und nach einem ereignisreichen und durchgehend unterhaltsamen Test kann ich nur unterstreichen, dass sich dieser Einstieg definitiv lohnt.
Sicherlich werfen technische Schnitzer sowie ein eher rudimentäres Action-Kampfsystem dem Marsch in Richtung spielerische Perfektion einige überwindbare Hindernisse in den Weg. All diese eher kleineren Schwächen ändern allerdings nichts daran, dass mich diese abenteuerliche Reise dank facettenreicher Charaktere, einer spannenden Welt und rundenbasierten Gefechten mitsamt taktischer Anpassungs- und diverser Upgrade-Möglichkeiten direkt in ihren Bann zog und mich regelrecht animierte, immer tiefer einzutauchen und mich hier richtig wohlzufühlen. Umso erfreulicher, dass mich der stattliche Umfang dann auch zuverlässig bei Laune hielt und mir somit die Chance gab, das Mittendrin-Gefühl ordentlich auszukosten.
Überhaupt ist es schön, wenn man sich in ein Franchise stürzen darf, das eine mehr als positive Perspektive vorweist. Abseits der vielen Vorgänger folgt nämlich bereits 2025 der westliche Release des direkten Sequels zu The Legend of Heroes: Trails Through Daybreak, in Japan sogar schon dieses Jahr die Veröffentlichung des dritten Parts. Und noch schöner ist es, dass Genre-Fans nun endlich die Möglichkeit bekommen, ohne große Verwirrungen in das komplexe Trails-Geflecht einzusteigen, den aktuellen Handlungsstrang mitzuerleben und anschließend einen ambitionierten Trip in die Videospielvergangenheit zu unternehmen, um die gesamte Geschichte zu erfassen. Ein Vorhaben, das zweifelsfrei viel Zeit schlucken wird, bei dem sich JRPG-Anhänger jedoch eine Frage stellen sollten: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Neu erstellte Kommentare unterliegen der Moderation und werden erst sichtbar, wenn sie durch einen Moderator geprüft und freigeschaltet wurden.
Neu erstellte Kommentare unterliegen der Moderation und werden erst sichtbar, wenn sie durch einen Moderator geprüft und freigeschaltet wurden.