Harte Anfangsschale, wundervoller JRPG-Kern.
Zweifelsfrei kann man davon ausgehen, dass sich das Team der Videospielschmiede Nihon Falcom 1987 mit der Veröffentlichung von Ys I: Ancient Ys Vanished sicher war, dass Abenteurer Adol Christin eine glorreiche JRPG-Zukunft bevorstehen wird. Doch ob bereits beim Startpunkt der Reihe von einer nun schon fast 40 Jahre überdauernden Historie geträumt wurde? Das darf vor allem mit Blick auf die damals enorm starke Genre-Konkurrenz definitiv angezweifelt werden.
Dennoch macht sich der junge Held nach mitreißenden Ereignissen auf einer geheimnisvollen Insel in Ys VIII: Lacrimosa of Dana und einer düsteren Gefängnisstadt in Ys IX: Monstrum Nox nun auf in den hohen Norden und nähert sich mit Ys X: Nordics dem glorreichen Jubiläum immer weiter an. Mittlerweile darf man dann aber doch die Frage stellen, ob die vorantreibenden Kraftreserven der Vergangenheit weiterhin stattlich gefüllt sind oder sich nicht langsam doch erste Altersanzeichen einschleichen, die auf einen baldigen Franchise-Ruhestand hindeuten.
Um diese (und viele weitere) Fragen zu beantworten, habe ich mich an der Seite von Adol, Dogi und Co. auf hohe See begeben, nach Schätzen gesucht und mich allerlei monströsem Gesindel in den Weg gestellt und möchte euch im Test nun freudestrahlend präsentieren, weshalb diese Reihe vor allem Fans abermals ein breites Lächeln auf die Lippen zaubern wird – dabei aber langsam, aber sicher auf den Zahn der Zeit achten muss, um durch diesen nicht vollends in der angestaubten und dadurch abschreckenden Versenkung abzutauchen.
Träger Start ins neue Abenteuer
Strenggenommen muss ich den rothaartigen Helden Adol Christin schon als einen der vielen treuen Wegbegleiter meiner über 25 Jahre andauernden Videospielkarriere benennen. Zwar mag dieser nicht unzertrennlich an mein Gamer-Herz herangewachsen sein, erreicht eher das Level einer lobenden Erwähnung, mit seinen zahlreichen Abenteuern versorgte er mich als begeisterten JRPG-Fan allerdings mit ausreichend virtuellem Futter, um mich stundenlang in fantasievollen Welten verlieren zu können. Dementsprechend wollte ich die ersten Stunden von Ys X: Nordics auch nicht direkt verfluchen, sondern dem neusten Ableger der langlebigen Reihe die Chance geben, mich trotz eines unglücklichen Fehlstarts doch noch zu begeistern.
Dabei verspricht die kurze Zusammenfassung der Haupthandlung eigentlich wieder beste Unterhaltung. Anstatt sich nach den Ereignissen des Vorgängers weiter in Richtung Zukunft zu bewegen, dreht Nihon Falcom die Uhr ordentlich zurück und manövriert sich erzählerisch zwischen Ys II: Ancient Ys Vanished – The Final Chapter und Ys: Memories of Celceta. Somit begleite ich den 17-jährigen Adol bei einem unfreiwilligen Zwischenstopp im Golf von Obelia, bei dem der Abenteurer nicht nur etliche Inseln erkunden darf, sondern zugleich in einen erbitterten Konflikt zwischen den Normannen und den scheinbar unsterblichen Griegern gerät. Und – wie sollte es auch anders sein – hier scheint Adol durch eine geheimnisvolle, ihm innenwohnende Macht die Variable zu sein, die die Streitigkeiten endgültig beenden kann, wobei er allerdings mit der hitzköpfigen Piratin Karja zusammenarbeiten muss.
Ja, auf den ersten Blick darf man sich sicher sein, dass hier keinerlei Oscar-Ambitionen, dafür aber alle altbekannten Zutaten eines typischen Ys-Plots vorhanden sind. Ein bisher unbekanntes Gebiet voller verborgener Geheimnisse, neue Gesichter mit tragischen Schicksalen und völlig außer Kontrolle geratene Streitigkeiten, die nur von einem strahlenden Helden mit reinem Herzen bewältigt werden können. Leider werden all diese Elemente anfangs gnadenlos aneinandergereiht, in ausschweifenden Dialogen mühselig durchgekaut und künstlich in die Länge gezogen, weshalb sich hier rasant eine gewisse Ermüdung einstellte. Ich verstehe ja, dass ein wahres JRPG ein Intro benötigt, aber ich will doch auch einfach mal spielerisch loslegen, Herrgott nochmal!
Erfreulicherweise gelingt Ys X: Nordics dabei der Aufbau der neuen Welt sowie das ausführliche Präsentieren all ihrer Bräuche, Konflikte und Personen, längere Pausen inmitten dieser gigantischen Informationsflut wären jedoch unabdingbar gewesen, um gähnende Langeweile aus der Rezeptur zu nehmen. Größtes Opfer des missglückten Starts ist wahrscheinlich Piratin Karja, die als zentrale Protagonistin neben Adol eigentlich möglichst rasant einige Sympathiepunkte sammeln sollte, ihre Aufgabe im späteren Spielverlauf dann auch exzellent erfüllt, mich mit einer nervtötenden Arroganz zunächst jedoch eher zum zermürbten Augenrollen animierte. Hätte das Entwicklerteam das narrative Tempo hier bereits gesteigert, Karja diese hochnäsige Art also höchstens beim ersten Kennenlernen aufgedrückt, um anschließend ihre wahre, bedeutend liebenswertere Charakternatur durchscheinen zu lassen, hätte ich sie rasant mit völlig anderen Augen gesehen. Während der ersten Stunden konnte ich den Gedanken aber kaum ertragen, dass das wirklich die spielbare Heldin des Abenteuers werden soll.
Meine Geduld und mein tiefes Vertrauen in die Reihe wurden nach der schweren Anfangsphase aber immerhin belohnt. Denn kaum hatte sich die Spielwelt geöffnet, das Gameplay also den verdienten Platz im Rampenlicht erobert, wurde auch das übergeordnete Handlungsgeflecht deutlich aufgelockert, präsentierte sich endlich nicht mehr als gigantische Geschichtstorte, sondern als viele, kleine, deutlich besser verdaubare Kuchenstücke. Zusätzlich erwarteten mich dann auch endlich die herzerwärmenden Momente, spannenden Charakterentwicklungen und teils schockierenden Enthüllungen, für die ich mich überhaupt durch die schwache Phase durchgekämpft hatte. JRPG- und Ys-Freunde kommen nach einigen Startschwierigkeiten folglich definitiv auf ihre Kosten und sollten dieses Wissen nutzen, um den Beginn nicht gänzlich zu verschlafen.
Eine Meereslandschaft zum Vergessen
Nun wäre es Meckern auf hohem Niveau, ein wahrer Luxus, wenn nur ein Aspekt von Adol Christins neuem Abenteuer solch eklatante Schwächen aufweisen würde. Leider möchte mir Ys X: Nordics diesen Gefallen einfach nicht tun und bietet mir stattdessen neben dem bereits ausgiebig besprochenen holprigen Handlungsstart auch mit einer veralteten Grafik ausreichend Raum für Kritik. Trotz einer Veröffentlichung für die letzte und aktuelle PlayStation-Generation, die Nintendo Switch sowie den PC erinnerte mich das Gesamtbild während des Tests nämlich durchgehend an einen dürftig gealterten PS3-Titel, der schwerlich das Niveau der Vorgänger erreichen kann.
Allein die ersten gemütlichen Schiffsfahrten über das weite Meer unterstreichen eindrucksvoll, dass die zur Verfügung stehende Hardware-Power beim Entwicklungsprozess scheinbar kaum genutzt wurde. Statt eines visuell malerischen Anblick erwartet mich nämlich eine Tour durch eine langweilige, detailarme Suppe, die der eigentlich stimmigen Wikinger-Atmosphäre bei ihrer Entfaltung einen herben Dämpfer verpasst. Auch die unterschiedlichen Landschaften könnten trister kaum ausfallen und lassen fast durchweg eine individuelle Note und nennenswerte Besonderheiten vermissen. Dadurch entsteht ein unattraktiver Einheitsbrei, der nur selten durch ansatzweise anschauliche Örtlichkeiten ein wenig aufgeheitert wird.
Immerhin profitiert die Performance von den minimalistischen Bemühungen und hält das Geschehen zuverlässig bei einer geschmeidigen Framerate von 60fps. Kombiniert mit hübsch gestalteten Charaktermodellen, optimierten Animationen und effektreich in Szene gesetzten Kämpfen lässt sich inmitten der visuellen Kritik dann aber doch ein leichter Hoffnungsschimmer erblicken. Sobald der Anime-Look durch die positiven Grafikelemente nämlich richtig zur Geltung kommt, werden die Schwächen immerhin kurzzeitig kaschiert, leider aber nicht gänzlich ausgemerzt.
Fans der Reihe dürften sich zudem über die Rückkehr des altbekannten vierköpfigen Kompositionsteams (ohne Takahiro Unisuga, dafür nun aber mit Shuntaro Koguchi) freuen, die abermals eine Reihe rockiger Songs zum Besten geben und diese bei Ys X: Nordics selbstverständlich mit nordischen Klängen vermischen. Weltbewegende Ohrwurm-Garanten für die eigene Playlist sucht man hier vergebens, als antreibende Untermalung für abenteuerliche Streifzüge mit hektischen Kämpfen funktioniert der Soundtrack allerdings vortrefflich – und bietet dank einiger ruhiger Orchesterklänge dann auch noch willkommene Varianz.
Und natürlich möchte ich diesen Part meines Tests nicht abschließen, ohne auch einige Worte zu den beiden Sprachfassungen zu verlieren. Denn sowohl die englische als auch die japanische Variante punkten beide mit erstklassig besetzten Sprechern, die sich allesamt hörbar viel Mühe geben und auch die emotionale Klaviatur von humorvoll über actionreich bis hin zu niedergeschlagen passend abdecken. Subjektiv tendierte ich für meinen Test zur japanischen Option, passten die Stimmen meiner Meinung hier einfach besser zum Anime-Look. Objektiv betrachtet erreicht die englische Alternative dieses Ziel jedoch ebenfalls und darf somit ebenfalls wärmstens empfohlen werden.
Duo Infernale
Nachdem ich mich einige Zeit den negativen Punkten von Ys X: Nordics gewidmet und meiner angestauten Meckerlaune schonungslos Ausdruck verliehen habe, möchte ich mich endlich einem der beiden großen Highlights des Abenteuers zuwenden: Dem Kampfsystem, das sich oberflächlich betrachtet stark an den Vorgängern orientiert, dann aber doch eine frische Nuance hinzufügt, die rasant zum grandiosen Pluspunkt avanciert.
Anstatt eines kompletten Teams stehen mir dieses Mal nur Adol und Karja für die actionreichen Echtzeitkämpfe zur Verfügung, lassen mich die reduzierte Kämpferanzahl dank ordentlicher Angriffskraft und einer umfangreichen Manöverpalette jedoch nur selten spüren. Stattdessen stürze ich mich tapfer in jedes Gefecht, visiere meine Feinde an, verknüpfe mehrere Standard- sowie Spezialattacken miteinander und verknüpfe einen rasanten Ausweichsprint mit dem perfekten Timing, um heimtückischen Gegenangriffen auszuweichen und selbst einen vernichtenden Konter zu landen. Dabei kann ich jederzeit zwischen Adol und Karja wechseln, um ein wenig Abwechslung in den durchweg identischen Ablauf hineinzubringen.
Erfahrungsgemäß ist allerdings Teamwork der unverzichtbare Schlüssel, mit dem jede hartnäckige JRPG-Tür geöffnet werden kann. Dementsprechend gibt mir Ys X: Nordics nun die Möglichkeit, per rechter Schultertaste in den Duo-Modus zu schalten und beide Helden gleichzeitig zu steuern, wodurch ich nicht nur den ausgeteilten Schaden verdopple, sondern gleichzeitig Zugriff auf Spezialattacken erhalte, die besonders hartnäckige Herausforderungen noch einfacher aus der Welt schaffen. Für die Defensive spielt diese neue Variante ebenfalls eine wichtige Rolle, kann ich einigen Gegenangriffen doch nur Solo, anderen wiederrum nur im der Adol-Karja-Kombi ausweichen, muss dementsprechend stets wach sein und auf die Bewegungen meiner Kontrahenten achten. Ein kleiner Gameplay-Kniff, mit dem Nihon Falcom angenehme Taktikwürze hinzugefügt hat.
Einzig beim Balancing hätte sich das Entwicklerteam etwas mehr Gedanken machen dürfen. Da der Einsatz des Duo-Systems nämlich nicht limitiert wird, ich die Schultertaste also abseits der kurzen Abwehrmomente jederzeit gedrückt halten und damit ordentlich austeilen darf, wurden die mittleren, manchmal sogar die höchsten Schwierigkeitsstufen zeitweise unfreiwillig entschärft, wodurch ich ohne große Mühen förmlich durchgewunken wurde. Kein wirklicher Beinbruch, eine zusätzliche Leiste, die mich nach Erreichen des Nullpunkts wieder in den Solo-Modus zwingt, hätte hier aber bereits Abhilfe geschafft.
Upgradeflut als Motivationsgarant
Sobald ich mich aber in das erste Duell gestürzt und mit meiner zweiköpfigen Supertruppe rasant für Recht und Ordnung gesorgt habe, sind solche kleinen Versäumnisse schnell vergessen. Durch die oberflächliche Simplizität geht das Kampfsystem nämlich wie schon bei den Vorgängern direkt in Fleisch und Blut über und macht dank des durchgehend hohen, dabei aber stets überschaubaren Tempos zudem ungeheuer viel Laune. Abwechslungsreichtum mag dabei mit Blick auf die Gesamtspielzeit sicherlich ein wenig in den Hintergrund geraten, die dynamische Inszenierung hilft dem Unterhaltungswert jedoch dabei, zuverlässig im oberen Niveaubereich zu verweilen.
Hilfreich ist auch die Tatsache, dass stupides Buttonsmashing trotz eines verhältnismäßig zahmen Schwierigkeitsgrads höchstens bei Standardgegnern zum Erfolg, bei den vielen Bossen allerdings gerne mal zum unfreiwilligen Bildschirmtod führt. Klar, auf eine möglichst kurze Umschreibung heruntergebrochen schwinge ich einfach meine Schwert umher, weiche gelegentlich mal aus und nutze zudem noch fleißig den Duo-Modus, gerade bei den großen Obermotzen muss ich mir durch genaues Beobachten dann aber doch eine passende Strategie zusammensetzen, um das Aufeinandertreffen möglichst unbeschadet und vor allem siegreich zu beenden.
Zusätzlicher Motivationsfaktor ist – und wie sollte es bei einem waschechten JRPG auch anders sein – die Möglichkeit, Adols und Karjas kämpferische Fertigkeiten fortwährend zu verbessern und hartnäckige Schergen dank zahlreicher Upgrades noch effektiver in den Boden zu stampfen. Besiege ich ausreichend Feinde, erhalte ich Erfahrungspunkte, mit denen ich im Levelaufsteige, kann meine favorisierten Skills durch regelmäßigen Einsatz meistern oder auf Schatzsuche gehen, um in der einen oder anderen Kiste vielleicht kostbare Ausrüstungsgegenstände und mächtigere Waffen zu erhalten. Und da all diese Schritte durch das schwungvoll in Szene gesetzte Kampfgeschehen sehr schnell ablaufen, bleibt das Motivationspedal gefühlt pausenlos durchgetreten. Genre-Fans kennen es und Genre-Fans lieben es.
Während all diese Systeme selbsterklärend sind und somit locker-flockig von der Expertenhand gehen, kommt mit der Release Line eine neue Upgrade-Variante hinzu, mit der man sich ausführlich beschäftigen darf und anfangs sogar muss. Hierbei handelt es sich um einen Fähigkeitenbaum, dessen einzelne Stationen ich durch Stufenanstiege erhaltene Mana-Punkte und eingesammelte Mana-Samen aktivieren und dadurch aktive und passive Fertigkeiten sowie hilfreiche Statusverbesserungen freischalten kann. Anfangs wirkt diese Funktion noch überschaubar, wird mit der Zeit jedoch nach und nach um neue Bereiche erweitert und lädt mich dazu ein, zunächst nur die Optimierungen auszuwählen, die meinen bevorzugten Spielstil untermauern. Ein Heidenspaß, in dem sich vor allem strategische Supertaktiker ein wenig verlieren können.
Keine Chance gegen den Erkundungsdrang
Ähnlich dem Release-Line-System öffnet sich auch Ys X: Nordics als Gesamtwerk nur Schritt für Schritt, verhindert dadurch aber bravourös, dass die anfangs ausführlich dargelegten Schwachpunkte als gravierender Spielspaßkiller fungieren. Habe ich den lahmen Beginn nämlich endlich erfolgreich passiert, die unaufhörliche Flut an gefühlt niemals enden wollenden Erklärungen endgültig hinter mich gelassen, lässt Adols Abenteuer endlich die erkundungsfreudigen Freiheitsmuskeln spielen und ersetzt anfängliche Enttäuschung durch bereits bekannte Franchise-Begeisterung.
Dreh- und Angelpunkt sowie mein persönliches Highlight ist dabei die Sandras, ein anmutiges Schiff, mit dem Adol und Co. den Golf von Obelia anfangs ein wenig eingeschränkt, später dann auch bedeutend freier erkunden dürfen. Und wer Titel wie Assassin's Creed IV: Black Flag liebte oder einfach nur ein Herz für Piraten hat, der wird sich auch an diesem Deck perfekt aufgehoben fühlen. Denn gemütlich über das Meer zu tuckern und neue Inseln anzusteuern macht nicht nur enorm viel Spaß, sondern fühlt sich im Kontext der gesamten Ys-Reihe auch einfach nur absolut passend an.
Besonders cool: Die Sandras dient nicht nur als simples Transportmittel, sondern kommt auch in Seeschlachten zum Einsatz, wobei wir abermals auf vernichtende Angriffe, zugleich aber auch auf ein intakte Defensive achten müssen, um nicht selbst gen Meeresboden zu sinken. Aufgrund der technischen Einschränkungen darf hierbei zwar kein packendes Mittendrin-Erlebnis mit cineastischer Inszenierungspower erwartet werden, wenn dann aber mit Kanonen gegnerische Schiffe versenkt und feindliche Truppen beim Enterungsversuch auf altmodische Art und Weise bezwungen werden, entsteht doch eine wohlige Seeräuber-Atmosphäre, in der ich mich auch mit schwächelnder Optik gerne verliere.
Vor allem greift auch hier erneut die Upgrade-Freude, lässt sich die Sandras im Laufe der Haupthandlung doch immer weiter ausbauen, wodurch ich nicht nur an Land, sondern mit der Zeit auch zu Wasser zur immer größeren Bedrohung für angriffslustige Schergen avancieren kann. Auch hier gerät die Schwierigkeitskurve irgendwann leicht außer Kontrolle und macht eine Vielzahl der anstehenden Schlachten eher unbewusst zu einem leicht zu bewältigenden Kinderspiel, das eigene Schiff gehörig aufzumotzen und damit zum wahren Schrecken der sieben Obelia-Meere zu werden macht dann eben doch ausreichend Freude, dass der Mangel an nennenswerten Herausforderung kaum schmerzt.
Schmerzen tut hingehen erneut die Anfangsphase, in der die Sandras eben noch kein beeindruckendes Megaschiff, sondern vielmehr ein austauschbares Holz-Sammelsurium mit geläufigen Transportfähigkeiten ist. Generell kein Problem, ein direkt übermächtiges Gefährt lässt sich immerhin kaum wirklich verbessern, allerdings sorgen die behelfsmäßige Angriffskraft und die dürftige Höchstgeschwindigkeit dafür, dass Kämpfe und Touren in den ersten Stunden erschreckend lahm ausfallen und gerne auch mal langweilen. Sicher, sobald die ersten Upgrades am Start sind, verpuffen diese Kritikpunkte direkt wieder – allerdings merkt ihr bereits, dass die Anfangsphase von Ys X: Nordics bei mir einen journalistischen Nerv getroffen hat.
Auf ein Wiedersehen, geliebter Adol
Keine Sorge, liebe JRPG-Fans, auf die Standards müsst ihr selbstverständlich nicht verzichten. Denn die Welt ist gefüllt mit zahlreichen Nebenquests, die erzählerisch nur selten die Bäume aus dem Genre-Boden reißen, dabei jedoch spannend genug ausfallen, um abseits der übergeordneten Rahmenhandlung zu packen. Und nachdem dieser wundervolle Zeitvertreib im direkten Vorgänger fehlte, dürfte ihr in Ys X: Nordics die Schwerter optional kurzzeitig an den Nagel hängen und die Seele beim gemütlichen Angeln ordentlich baumeln lassen. Okay, wenn man möglichst schnell die angezeigten Tasten drücken muss, damit der am Haken hängende Fisch vor dem Einfangen nicht fliehen kann, wird der Ruhe-Modus dann doch ausgeschaltet, Spaß macht das Ganze dann aber trotzdem.
Abenteurer freuen sich derweil über die Möglichkeit, mit der Sandras verschiedene Inseln und Dungeons anzusteuern und hier auf Schatzsuche zu gehen. Insgesamt fallen all diese Erkundungszüge aufgrund des Verzichts auf weitläufige, verwinkelte Gebiete recht gradlinig aus, bieten dennoch ausreichend Raum für alternative Routen und verborgene Geheimnisse. Und da ich mich überall an zur Verfügung stehenden Checklisten abarbeiten darf, behalte ich die Anzahl noch auffindbarer Schätze und anderer Kostbarkeiten stets im Blick und muss nicht etwa umsonst Zeit an ausufernden Suchspielchen verschwenden, sondern gezielt einen Schauplatz nach dem anderen vollständig abschließen.
Zusätzlich vergisst Nihon Falcom auch nicht, dass Adol neben seiner Rolle als legendärer Abenteurer zugleich ein sozialer Magnet ist, der im Bereich Zwischenmenschlichkeit trotz seiner genretypischen Wortkargheit definitiv die Bestnote verdient hat. Dementsprechend begegnen euch regelmäßig neue Bekannte, die sich freudestrahlend eurer Crew anschließen und die Sandras somit vom simplen Schiff zum belebten Hauptquartiert verwandeln. Neben neuen Funktionen, Nebenbeschäftigungen und Upgrade-Möglichkeiten sind es dann auch einfach nur die Dialoge, die Freude bereiten. Wie bereits bei den Vorgängern wird das Gefühl vermittelt, dass Adol spielend leicht Freunde, Wegbegleiter, Familie um sich versammelt und auf einer emotionalen Ebene immer enger mit ihnen zusammenwächst. Und so reichte es mir beim Test manchmal vollkommen aus, einfach nur über das Deck zu wandern und mich im alltäglichen Pläuschchen zu verlieren.
Und so verging dann auch die Zeit, weshalb ich nach Beenden der Haupthandlung, dem erfolgreichen Absolvieren aller Sidequests und einer fast 100%-igen Abschlussrate (ich bin tapfer auf dem Weg in Richtung Platin-Trophäe, die letzten vergrabenen Schätze werde ich also auch noch heben!) knapp 50 Stunden auf meinem Ingame-Counter hatte. Zu Beginn der Reise hätte ich wegen all der Ärgernisse nicht vermutet, dass ich diesen Endstand erreichen würde, wurde von Adol jedoch abermals eines Besseren belehrt. Kaum hatte ich ihm nämlich einen Vertrauensvorschuss gewährt und die Startschwierigkeiten zähneknirschend akzeptiert, begann eine herrlich amüsante JRPG-Schiffsfahrt, die sich vortrefflich in die beliebte Reihe einfügt.
Serien- und Genre-Fans werden höchstwahrscheinlich ähnliche Höhen und Tiefen erleben, kommen am 10. Hauptableger schlussendlich dann aber doch nicht vorbei. Denn obwohl Nihon Falcom sich mal ordentlich schütteln und in puncto Intro sowie Pacing einige Nachholstunden absitzen sollte, wird nach der anstrengenden Phase direkt wieder eindrucksvoll unterstrichen, weshalb Adol seit so vielen Jahren die Videospielwelt unsicher machen und dabei trotz einer oftmals recht ähnlichen Handlungs- und Gameplay-Konstellation stets auf Neue beeindrucken konnte. Dementsprechend muss Ys X: Nordics zwar mit strengen Abzügen in der B-Note auskommen, hat seinen Platz in der Reihe dennoch redlich verdient. Und tatsächlich verspürte ich bereits beim Anblick des Abspanns die erste kleine Vorfreude auf den fast schon vorprogrammierten Nachfolger.
Fazit
Stolzen Schrittes nähert sich die mittlerweile zweifelsfrei legendäre Ys-Reihe ihrem 40-jährigen Jubiläum, zelebriert vorher jedoch gebührend den zehnten Ableger der Hauptreihe, der im Kern erneut all die gefeierten Serienstärken vereint und somit feinste JRPG-Unterhaltung garantiert. Denn in Ys X: Nordics an der Seite von Adol Christin ein weiteres packendes Abenteuer zu erleben, eine Welt voller garstiger Feinde und verborgener Geheimnisse zu erkunden und gleichzeitig zahlreiche Kämpfe zu bestehen und Nebenbeschäftigungen zu absolvieren macht erneut unglaublich viel Spaß und fesselt für gut 50 Stunden erstklassig an die Konsole.
Allerdings müssen sich Fans neben einer fast schon ermüdenden, da mit ausufernden Erklärungen und spielerisch wenig ansprechenden Passagen vollgestopften Anfangsphase sowie einer stark angestaubten Optik anfreunden, bekommen aber im Gegenzug ein ebenso zugängliches wie auch tiefgründiges Kampfsystem, ein wundervolles Schiff inklusive spannender Meeresschlachten und cooler Upgrade-Möglichkeiten sowie einen stattlichen Umfang geboten. Glücklicherweise fallen die Pluspunkte mächtig genug aus, um die Schwachstellen zumindest ansatzweise abzuschwächen und das Gesamterlebnis damit in einem positiven Bereich zu halten.
Schlussendlich ist es als großer Genre-Fan einfach nur schön zu wissen, dass man sich abseits kleinerer Versäumnisse weiterhin auf Adol und Nihon Falcom verlassen und somit auf ein herrlich unterhaltsames Abenteuer freuen kann, in dem man sich spielend leicht verliert. Nun dürfen wir voller Vorfreude in die Zukunft schauen und leicht angespannt darauf warten, welche Überraschungen uns wohl zum beachtlichen Geburtstag in 2027 erwarten werden – und auf welche Reisen wir den rothaarigen Helden Adol wohl in den nächsten 40 Jahren begleiten dürfen.
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