God of War Ragnarök

Eine phänomenale Fortsetzung. Ein sagenhafter Abschluss.


Eine weltweit gefeierte, wahrlich legendäre Videospielreihe in ein völlig neues Kapitel zu führen und dabei nicht nur das Setting und das Gameplay komplett auszutauschen, sondern auch die Handlung und Protagonisten in unbekannte Sphären zu geleiten, ist ein unfassbar risikobehaftetes Unterfangen, lauern auf dem Weg in Richtung Ziel doch unzählige Stolperfallen. Umso beeindruckender, dass das amerikanische Santa Monica Studio diese Aufgabe 2018 mit Bravour gemeistert und mit God of War ein Meisterwerk, vielleicht sogar eines der besten Videospiele aller Zeiten abgeliefert hat.


Am Ende des kreativen Schaffensprozesses war das Team zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch lange nicht angekommen. Zwar fand das erste gemeinsame Abenteuer von Serienikone Kratos und seinem Sohn Atreus einen gelungenen Schlusspunkt, machte mit einigen losen Handlungsfäden und einer geheimen Endsequenz jedoch deutlich, dass die Reise der beiden Helden noch lange nicht am Ende angekommen war. Eine Freude für die Fans, höchstwahrscheinlich ein Horror für die verantwortliche Videospielschmiede – immerhin wurde die Messlatte nun in schier unerreichbarer Höhe angebracht.


Doch auch diese Herausforderung will gemeistert werden, die Geschichte eines einzigartigen Vater-Sohn-Duos inmitten der nordischen Mythologie treffend zum Abschluss gebracht werden. Doch ob das sehnlichst erwartete Sequel God of War Ragnarök dieser Anforderung tatsächlich gerecht werden und dabei die Qualität des Vorgängers erreichen oder sich diesem in jeglicher Hinsicht geschlagen werden muss, das möchte ich euch im Mammut-Test verraten.


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Einer ungewissen Zukunft entgegen


Normalerweise würde ich meinen Test mit einer kurzen Handlungszusammenfassung starten, die groben Geschichtspfeiler schriftlich darlegen, um einen eleganten Opener zu einer näheren Analyse und meiner eigenen Meinung auf die Beine zu stellen. Bei God of War Ragnarök möchte ich diesen (enorm flexiblen) Ablauf jedoch aufweichen und eine leicht entschärfte Vorstellungsstrategie fahren, wobei gleich zwei Gründe für diese Entscheidung ausschlaggebend waren.


Einerseits möchte ich die Enthüllungen des Vorgängers höchstens anschneiden, um das Spielerlebnis nicht unliebsam gegen die Wand zu fahren. Sicherlich bietet das Sequel bereits im Hauptmenü einen kurzen Rückblick, sorgt mit diesem allerdings eher für Verwirrung als für Erleuchtung. Wer God of War 2018 also noch nicht erleben konnte, sollte sich nicht auf einen Dreizeiler inmitten eines ausschweifenden Tests oder ein überhetzt zusammengestelltes Video verlassen, sondern direkt zum Controller greifen und dieses unvergessliche Abenteuer selbst in Angriff nehmen – auch wenn die phänomenale Fortsetzung dann eben länger warten muss.


Andererseits ist es God of War Ragnarök selbst, das mich regelrecht zum Stillschweigen verpflichtet. Anstatt eines ausführlichen Prologs mit künstlerisch langgezogenen Blabla-Passagen wird hier nämlich bereits nach wenigen Minuten aus allen narrativen Kanonen gefeuert, der Startschuss für eine regelrechte Lawine an eindrucksvollen Highlights gegeben, die das Wort Anhalten bis zum fulminanten Finale bewusst aus dem eigenen Vokabular exkludiert.


Drei Jahre nach den Ereignissen des Erstlings finden sich Kratos und sein Sohn Atreus nämlich inmitten des riesigen Winters, in der nordischen Mythologie als Fimbulwinter bekannt, und sehen sich dadurch mit einer unheilvollen Prophezeiung konfrontiert. Das gnadenlose Schneetreiben soll nämlich der erste Schritt in Richtung Ragnarök, der unerbittlichen und alles zerstörenden Schlacht zwischen Riesen und Göttern sein, dessen Ausgang nicht nur das Schicksal beider Parteien besiegelt, sondern zugleich das Ende der Welt bedeutet.


Während Kratos jegliche Beteiligung an diesem nahenden Krieg kategorisch ausschließt, möchte sich Atreus seiner Rolle in der schicksalshaften Vorhersage bewusstwerden, schienen ihn die Riesen vor vielen Jahrhunderten doch als eine Schlüsselfigur Ragnaröks, als Champion zu sehen. Spätestens das unerwartete (und zum Ende des Vorgängers hervorragend angedeutete) Auftauchen zweier göttlicher Widersacher zwingt das im emotionalen Konflikt gefangene Vater-Sohn-Duo zum Verlassen der eigenen vier Wände in Midgard, um in den neun Welten nach Antworten auf eine Vielzahl brennender Fragen zu suchen. Und um herauszufinden, ob der prophezeite Lebenspfad tatsächlich in Stein gemeißelt ist oder durch ein selbstloses Eingreifen in andere Richtungen gelenkt werden kann.



Ein emotionaler Kampf mit dem Festhalten und Loslassen


Zwar hatte ich das alternative Vorgehen bereits zu Beginn des letzten Absatzes ausführlich vorgestellt, möchte einen wichtigen Umstand zur Sicherheit allerdings erneut unterstreichen: Bisher habe ich die grundlegende Rahmenhandlung von God of War Ragnarök nur angeschnitten, kann spoilerfrei kaum in Worte fassen, wie thematisch vielschichtig und komplex diese im Laufe der nachfolgenden Stunden ausfällt. Dabei ist es dem Santa Monica Studio abermals gelungen, den erzählerischen Grundsätzen der legendären Reihe treuzubleiben, diese durch glaubhafte Charakterentwicklung allerdings passend weiterzuentwickeln und dadurch auf ein völlig neues, mitreißendes Niveau zu hieven.


Im Mittelpunkt stehen selbstverständlich weiterhin Kratos und Atreus, deren Band nach dem letzten Abenteuer unzertrennbar erschien, sich angesichts der kommenden Herausforderungen nun jedoch dem ultimativen Härtetest stellen muss. Während der stets auf wenig Worte bedachte Vater kriegerische Gedanken ohne Widerworte im Keim ersticken und dadurch das Überleben seines Nachfahren sichern möchte, sehnt sich der rasant heranwachsende Sohn nach einer wegweisenden Wichtigkeit in seinem Leben – und stellt sich dabei nicht selten engstirnig gegen jegliche Regeln. Eine Kombination, die über Geheimnistuereien zwangsläufig zu lautstarken Konflikten, folgeschweren Vertrauensbrüchen und einer schleichenden Entzweiung führen.


Nun mag ein solches Gefecht in der Videospielwelt keine Revolution darstellen, wird von den Drehbuchautoren jedoch mit so viel Liebe zum verbalen Detail umgesetzt, mit einer unbeschreiblichen Faszination behaftet, dass mich jede noch so kurze Zwischensequenz, jeder noch so unwichtig erscheinende Dialogfetzen mich schlagartig in seinen Bann zog. Jedes Wort sitzt, bahnt sich in Form eines spitzen Handlungspfeils einen imposanten Weg in mein Emotionszentrum und zwingt mich förmlich dazu, den Controller bis zur finalen Textzeile fest in meinen Händen zu halten.


Als Franchise-Fan der allerersten Stunde entpuppte sich dabei auch dieses Mal wieder Kratos als mein persönliches Highlight. Bereits 2018 hatte Santa Monica dessen Wandel vom rachsüchtigen Kriegsgott zum fürsorglichen Vater bravourös umgesetzt und stellt auch bei God of War Ragnarök sicher, dass ich beim Anblick meines geliebten Protagonisten nicht der augenrollenden Enttäuschung verfalle. Weiterhin setzt der stolze Spartiat bei der Kommunikation auf ein breites Repertoire diverser Knurrlaute, lässt zwischen den minimalistischen Zeilen allerdings eine nahbare Menschlichkeit durchschimmern, die manchmal schwer greifbar, nichtsdestotrotz aber jederzeit vorhanden ist. In jeder noch so ausweglosen Situation ist und bleibt Kratos einfach nur ein Vater, der seinen Sohn um wirklich jeden Preis schützen will. Und vermeiden will, dass dieser seine eigenen Fehler ungestüm wiederholt.


Allein diese Beziehung bringt so viele Feinheiten, Wendungen, unerwartete Entwicklungen und schockierende Momente mit sich, dass ich den Rahmen eines handelsüblichen Tests spielend leicht sprengen könnte. In einer epischen Saga rund um den Weltuntergang, Riesen und Götter vergisst das Team nicht, dass zwei Hauptfiguren das schlagende Herz darstellen und zu keinem Zeitpunkt in den Hintergrund geschoben werden dürfen. Ein kleines Kunststück, das sich wiederholt bezahlt macht.




Komplexes Handlungsgeflecht voller Detailverliebtheit


Allerdings braucht es mehr als ein Herz, um den Zauber des direkten Vorgängers vollständig einfangen zu können. Wenig überraschend also, dass God of War Ragnarök den narrativen Körper mit allerlei lebensnotwendigen Organen in Form atemberaubender Bombast-Momente füllt, die mich teils fassungslos vor dem Bildschirm zurücklassen. Natürlich greift mein Versprechen einer spoilerfreien Besprechung auch an dieser Stelle, weshalb ich keine einzige der filmreif inszenierte Zwischensequenzen oder Duelle näher beleuchten möchte. Meine Empfehlung: Macht euch auf ein unglaubliches Sammelsurium wahnsinniger Höhepunkte gefasst!


Zusätzlich verliert Santa Monica auch die vielen Nebencharaktere nicht aus dem Blick und eröffnet ihnen ausreichend Raum auf der erzählerischen Bühne, um neben Kratos und Atreus glänzen zu können. Ob nun der gelehrte (und aufgrund eines fehlenden Körpers von Kratos' Hüfte herabbaumelnde) Dauerbegleiter Mimir, die von Vergeltungsgefühlen zerfressene Waldhexe Freya oder die lange Reihe spannender Neuzugänge – allen voran der gefürchtete Donnergott Thor, dessen Auftritt mittlerweile kein Geheimnis mehr sein dürfte –, niemand verkommt zur lahmen Nebenfigur, sondern bekommt durch eine eigene Geschichte, eigene Probleme, eigene Beweggründe ausreichend Leben eingehaucht, um von der facettenreichen Welt nicht einfach verschluckt zu werden.


Hierbei umtanzt God of War Ragnarök lahme Eindimensionalität gekonnt, bricht also aus einem typischen Gut-und-Böse-Muster heraus und präsentiert vielmehr ein graues Gesamtbild, dessen moralische Nuancen im Auge des Betrachters liegen. Infolgedessen werden weder Nebenplots noch dramatische Schicksale einzelner Randfiguren zu langweiligen Klischees degradiert, sondern zum unverzichtbaren Teil des großen Ganzen umgeformt, weshalb kleinere Ausflüge abseits des erzählerischen Hauptpfads nur selten ermüdend, sondern oftmals eher motivierend wirken.


Solltet ihr nun befürchten, dass die nordische Mythologie von all den brachialen Prophezeiungen und Akteuren umzingelt und völlig vergessen wird, dürft ihr direkt wieder beruhigt aufatmen. Denn auch in der Fortsetzung fungiert diese nicht einfach nur als hübsche Hintergrundkulisse, sondern mausert sich erneut zur spiel- und handlungsbestimmenden Säule, die alle Schauplätze, Ereignisse und Charaktere mit einer reichen Auswahl and Legenden und Sagen tatkräftig unterfüttert. Und da euch Mimirs Erzählungen und ausführliche Menübeschreibungen liebevoll an die Hand nehmen und durch die Irrungen und Wirrungen dieses gigantischen Kosmos geleiten, braucht ihr im Vorfeld auch keinen informativen Grundkurs zu besuchen – wobei ein gewisses Vorwissen kleinere Fragezeichen definitiv ausradiert.


Santa Monica formt an all diesen erzählerischen Fronten bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Zahnräder, die meisterhaft Ineinandergreifen und kombiniert eine in jeglicher Hinsicht beeindruckende Maschinerie bilden, die sich bewusst aus dem üblichen Trilogie-Greifarm befreit und die nordische Ära bereits mit dem zweiten Besuch zu einem Abschluss bringt. Eine enorm risikobehaftete Entscheidung, die sich schlussendlich jedoch als glorreicher Volltreffer herausstellt: God of War Ragnarök präsentiert sich als fantastischer Schlusspunkt, der fast alle roten Fäden zu einem zufriedenstellenden Ende führt und übriggebliebene Fragezeichen mit einem dicken Ausrufezeichen versieht. Manchmal reicht dafür eben auch eine Dilogie.



Kleiner Schatten im strahlenden Lobeslicht


Doch wie bei jedem anderen umjubelten Werk der Film- und Videospielgeschichte lassen sich selbst auf der makellosesten Oberfläche kleinere Unfeinheiten erkennen, die beim genaueren Hinsehen vergleichsweise marginale, aber dennoch unbedingt zu erwähnende Defizite eröffnen. Im Falle von God of War Ragnarök handelt es sich hierbei um eine zweischneidige Axt: Immerhin ist eine der größten Handlungsstärken zugleich die größte Schwäche.


Beim Marsch durch die neun Reiche schaltet Santa Monica nämlich gerne einige Gänge zurück, lässt sich bewusst mehr Zeit, um mir die Schauplätze, die Mythen, die vielschichtigen Charaktere möglichst nah zu bringen und sie damit unweigerlich an mein Herz zu ketten. Prinzipiell ein guter Gedanke, erfreuen sich dadurch doch wirklich alle handelnden Figuren einer gewissen Daseinsberechtigung und versehen die emotionale Achterbahnfahrt mit weiteren scharfen Kurven und halsbrecherischen Loopings. Gleichzeitig gerät durch eben diese Momente das Pacing zeitweise vollständig außer Kontrolle, wodurch das adrenalingeladene Abenteuer stellenweise tatsächlich erschreckend nah an den Rand der Langeweile manövriert wird.


Da diese Passagen enorm rar gesät und hauptsächlich im Mittelteil der heldenhaften Reise aufzufinden sind, braucht nun wirklich niemand in Panik zu verfallen. Zudem fallen diese nur im direkten Vergleich zu den temporeichen Actionsequenzen und hitzigen Wortgefechten lahm aus, erfüllen also weiterhin den enorm hohen Qualitätsanspruch der kalifornischen Videospielschmiede. Dessen ungeachtet beschlich mich während dieser Sequenzen andauernd das Gefühl, dass die aktuelle Aufgabe einzig der künstlichen Streckung diente, um einem wichtigen Charakter oder einem unverzichtbaren Handlungselement mehr Raum zur freien Entfaltung darzubieten.


Natürlich ist es paradox, aktuelle Releases angesichts steigender Preise für ihre Länge zu kritisieren und im gleichen Satz sogar das Herausschneiden einiger (strenggenommen unbrauchbarer) Spielstunden zu fordern. Gerade im zuvor erwähnten Mittelteil von God of War Ragnarök wäre weniger jedoch ausnahmsweise mal mehr, meine Motivationskurve vor einem temporären Absenken geschützt gewesen. Glücklicherweise erreichte diese auch in diesen schwächelnden Abschnitten niemals auch nur ansatzweise den Nullpunkt, weshalb es sich hierbei letztlich nur um Meckern auf hohem, aber eben nicht auch einem einfach zu ignorierenden Niveau handelt.




Alte Stärken eines zornigen Kriegsgottes


Doch ob er nun die Asche seiner verstorbenen Frau auf den höchsten Berg der neun Reiche transportieren, mit einem Boot unbekannte Gebiete erforschen oder gemeinsam mit seinem Sohn der Wahrheit hinter der Ragnarök-Prophezeiung auf die Spur kommen muss, am Ende ist Kratos weiterhin der ehemalige Gott des Krieges, der notfalls ordentlich austeilen und mit seiner unbändigen Wut gefühlt Berge versetzen kann. Eine einzigartige Stärke, die natürlich auch in God of War Ragnarök regelmäßig ausgespielt wird.


Greift der Spartiat beim Aufeinandertreffen mit monströsen Kreaturen zu seinen Waffen, fühlen sich Fans des Vorgängers direkt heimisch – immerhin haben sich die Entwickler nicht einfach nur am Kampfsystem des Erstlings orientiert, sondern es direkt übernommen. Folglich nutze ich erneut die schnittige Axt Leviathan sowie die ikonischen Chaosklingen, um mit vernichtenden Angriffen für Recht und Ordnung zu sorgen. Diese lassen sich selbstverständlich miteinander verknüpfen, wodurch ebenso pfiffige wie auch experimentierfreudige Kämpfer die Chance bekommen, eindrucksvolle Kombos zu kreieren, die feindlichen Gesundheitsleisten damit noch effektiver gen Nullpunkt zu senken und mit einem saftigen Finisher den Sieg einzufahren. Und auch Atreus greift per Kommando direkt ins Geschehen ein und zieht Pfeil und Bogen nicht nur die Aufmerksamkeit auf sich, sondern greift nun mit einer Vielzahl neuer Kräfte noch aktiver ins Geschehen ein.


Stupides Knöpfchendrücken führt aber auch in der zweiten (nordischen) Runde nur selten zum Erfolg. Selbst auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad teilen Kratos' Kontrahenten unliebsam aus und können deshalb nur mit durchdachtem Vorgehen bezwungen werden. In welcher Situation nutze ich die Axt, in welcher die Klingen? Vielleicht nutze ich Leviathan als Wurfgeschoss und verlasse mich anschließend kurzzeitig auf meine Fäuste? Gibt es vielleicht ein bestimmtes Manöver, das mir einen strategischen Vorteil beschert? Sollte ich den Rage-Modus direkt entfesseln oder lieber für einen späteren Zeitpunkt aufbewahren? Und wie kann ich die Eis- und Feuerfähigkeiten meiner Waffen einsetzen, um größere Gegnertruppen unter Kontrolle zu halten? Nur einige der vielen Fragen, die man während enorm hektischer Gefechte rasant mit den richtigen Antworten – und vor allem den richtigen Reaktionen – bestücken muss.


Zweifelsohne spielt hier auch die Defensive eine unverzichtbare Überlebensrolle, wird blinde Wut doch vor allem bei den hartnäckigen Obermotzen wirklich niemals belohnt. Ergo muss ich nicht nur austeilen, sondern zugleich die Bewegungen meiner Kontrahenten lesen und entscheiden, ob ich via Ausweichrolle das Weite suche oder rechtzeitig mein Schild hebe, um zum potenziellen Konter anzusetzen – ein Vorhaben, das nur mit dem korrekten Timing glorreiche Errungenschaften mit sich bringt. Gegen einzelne Gegner mag das Ganze gut händelbar sein, wird bei einer größeren Ansammlung aber zur wahren Herausforderung, die selbst Profis manchmal zum Verzweifeln bringt.


Den Sprung in unfaire Gefilde vollführt God of War Ragnarök nie, wagt insbesondere bei den optionalen Bossen jedoch einen kurzen Ausflug anspruchsvollen, gelegentlich fast schon strapaziösen Schlachten. Kleinere Ausrutscher werden gnadenlos bestraft, münden nicht selten schlagartig im vorzeitigen Ableben und zwingen mich förmlich dazu, mein Vorgehen grundlegend zu überdenken. Und im schlimmsten Fall direkt wieder eine herbe Klatsche ertragen zu müssen.



Überschaubare, aber sinnvolle Repertoireerweiterung


Oberflächlich betrachtet scheint sich Santa Monica mit Blick auf das Kampfsystem für den Stillstand, ein bequemes Ausruhen im bereits erstklassig ausgearbeiteten Geflecht hervorragend funktionierender Mechanismen entschieden zu haben. Und obwohl eine wirklich gravierende Weiterentwicklung ausbleibt und mit kleineren Feinheiten eher einige Stellschrauben nachjustiert werden, braucht sich das Team garantiert keine Faulheit vorwerfen zu lassen.


Dabei sind es vorrangig die erweiterten Upgrade-Möglichkeiten, die kampffreudigen Hobby-Kriegsgöttern direkt ins Auge fallen. Hier deckt God of War Ragnarök zuverlässig den gewünschten Standard ab und lässt mich mit verdienten Erfahrungspunkten ein breites Repertoire an zusätzlichen Fähigkeiten für Axt, Klingen sowie Atreus freischalten. Zugegeben, solche Investitionen konnte ich bereits im Vorgänger tätigen, in der Fortsetzung stehen mir allerdings bedeutend mehr Manöver zur Verfügung, die meinen individuellen Stil allesamt sinnvoll erweitern, einer zuvor perfekt erscheinenden Kombo das finale i-Tüpfelchen verpassen können.


Im Laufe des Abenteuers sammle ich jedoch nicht nur kostbare Erfahrungspunkte, sondern auch unterschiedliche Materialien, bei deren Anblick sich die Zwergenbrüder und Profi-Schmiede Brok und Sindri in freudiger Erwartung die Hände reiben. Bringt ihr ihnen nämlich die richtigen Zutaten, zaubern sie euch brandneue Rüstungen herbei, die eure wichtigsten Statusattribute gehörig aufpeppen. Zugleich lassen sich auf diesem Weg eure Waffen und Schilde verbessern, die mit Runen zudem noch mit mächtigen Nebeneffekten ausgestattet werden dürfen. Bei solch einer Fülle an Optimierungen fällt der Weg zur optimalen Ausrüstungszusammenstellung enorm weit aus, stehe ich doch nicht nur regelmäßig vor der Qual der Upgrade-Wahl, sondern werde zugleich noch von der Unsicherheit geplagt, ob ein alternatives Setup meiner hauseigenen Taktik nicht doch mehr Wumms verleihen würde.


God of War Ragnarök füllt das Schlachtfeld nicht mit weltbewegenden Neuerungen, sondern vielmehr mit weiteren Optionen, die bis zum Finale für frischen Wind und vortrefflichen Abwechslungsreichtum sorgten. Gleichzeitig ist dieser Umstand einer weiteren Modifikation zu verdanken, mit der sich Santa Monica dem wohl größten Kritikpunkt des Vorgängers – der überschaubaren Gegnervielfalt – angenommen und diesen tadellos ausgemerzt hat. Musste ich zuvor noch einem Troll nach dem anderen von seiner monströsen Existenz befreien, begegne ich nun gefühlt allen paar Minuten einer mir bisher unbekannten Kreatur, die mich mit ihren tödlichen Eigenheiten in Lebensgefahr bringt. Langeweile hat hier keine Chance, muss ich doch nicht nur ständig kämpferisch umdenken, sondern freue mich zudem über mitreißende Boss-Begegnungen, die mir endlich wieder ein lautstarkes WOW entlocken.


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Achtung! Es folgen kleinere Gameplay-Spoiler!


Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Und obwohl ich während meines Tests auf Spoiler jeglicher Art verzichten wollte, möchte ich dieses Versprechen nun geringfügig aufweichen. Und obwohl ich mir dabei jegliche Andeutung bezüglich der Handlung sparen und nur ein kleines Gameplay-Geheimnis anschneiden möchte, möchte ich an dieser Stelle nochmal ausdrücklich eine kleine Mini-Spoilerwarnung aussprechen! Wer das neue Abenteuer ohne jegliche Vorkenntnisse erleben möchte, sollte nun also direkt zur nächsten Überschrift springen.


Wirklich schockierend fällt diese Enthüllung dann eigentlich auch nicht aus, präsentiert sie sich mit Blick auf die Ereignisse des Vorgängers sowie die Rahmenhandlung von God of War Ragnarök doch als einzig logischer spielerischer Schritt. Neben Kratos dürft ihr nun in ausgewählten Abschnitten nämlich auch Atreus steuern, der natürlich nicht urplötzlich zu den Chaosklingen greift, sondern sich auf seinen treuen Bogen und seine magischen Begabungen verlässt. Diese setzen beim Bezwingen unliebsamer Widersacher allerdings eine neue Strategie voraus, weshalb das Kampfsystem hier völlig unerwartet mit weiteren Facetten versehen wird und mich endgültig aus der Sichtweite drohender Monotonie bringt.


Obendrein bekommt Atreus während seiner Alleingänge neue Begleiter an die Seite gestellt (hier bleiben meinen Lippen aber wirklich versiegelt), die der altbekannten Formel ein weiteres Update verpassen. Nun muss ich mich nämlich nicht nur mit Pfeil und Bogen zurechtfinden, auch die ausgewechselten Unterstützungsfähigkeiten erfordern eine temporäre Anpassung meiner vorherigen Strategie, die aufgrund einer grundlegenden Ähnlichkeit zu Kratos' Kampfsystem jedoch angenehm simpel von der Hand geht.


Unterm Strich mag Santa Monica das kämpferische Rad nicht neu erfunden, ihm jedoch einen schicken Neuanstrich und sinnvolle Modifikationen verpasst haben. In den ersten Stunden vermag God of War Ragnarök dadurch zwar ein gewisses DLC-Feeling auszustrahlen, klettert den Sequel-Berg mit dem voranschreitenden Freischalten aller neuer Spielereien jedoch immer weiter herauf und fühlt sich spätestens ab der Zehn-Stunden-Marke Gameplay-technisch wie eine vollwertige Fortsetzung an.



Neun Welten voller Geheimnisse


Action-Freunde kommen also vollends auf ihre Kosten und dürfen in der Rolle des ehemaligen griechischen Kriegsgotts und nun schlagkräftigen Vaters bedeutend variantenreicher auf die monströsen Visagen der neun Reiche einprügeln. Diese fungieren in God of War Ragnarök allerdings nicht nur als hübsch dekorierte Schlachtfelder, sondern beherbergen zudem eine wahre Flut an Geheimnissen, die auch erkundungsfreudigen Gamern ein breites Lächeln auf die Lippen und zusätzliche Stunden auf die Gesamtspieldauer zaubert.


Zwar präsentieren sich Midgard, Svartalfheim und Co. auch im Sequel zunächst recht linear und lassen eine gewisse voluminöse Wucht vermissen, eröffnen mit optionalen Abzweigungen und offenen Gebieten dann allerdings doch eine willkommene Freiheit, die ich zwischen den nervenaufreibenden Kämpfen gerne beim Schopfe packe. Vor allem, da sich solche kurzen Ausflüge dank reichlich gefüllter Schatztruhen, verborgener Rüstungsteile, mystischer Artefakte, informativen Relikten oder Odins patrouillierender Raben, die es auszuschalten gilt, fast immer lohnen.


Naturgemäß werden mir solche Sammelobjekte nicht einfach auf dem Silbertablett serviert, sondern erfordern häufig das erfolgreiche Lösen einen kleinen Umgebungsrätsels, bei dem die elementaren Kräfte meiner Waffen oftmals den notwendigen Schlüssel darstellen. Hier hat Santa Monica der Kreativität freien Lauf gelassen und einige schöne Ideen in die fantasievolle Spielwelt integriert, verspürte dabei aber scheinbar den unstillbaren Drang, mir eine helfende Hand zu reichen. Bereits wenige Sekunden nach Sichtung einer räumlichen Problematik müssen wir Mimir und Atreus unbedingt einen verbalen Hinweis geben, um mich auf den richtigen Pfad zu führen. Zeit, mein eigenes Gehirn einzusetzen? Die wird mir nur selten eingeräumt.


Marginale Designärgernisse, die dank einer weiteren Stärke des fesselnden Abenteuers bereits im nächsten Moment wieder in Vergessenheit geraten, wobei die narrative Qualität erneut in den Fokus rückt. Auf meinem Weg in Richtung Abspann stolpere ich nämlich über mehrere Sidequests, deren grundlegende Aufgaben zwar nur selten den Genre-Standard übertreffen, dafür aber auf erzählerischer Ebene abliefern und gerne das Level der cineastischen Rahmenhandlung erreichen. Beim Angehen dieser optionalen Missionen erfahre ich nämlich mehr über die zahlreichen Haupt- und Nebencharaktere, darf noch tiefer in die nordische Mythologie eintauchen und werde Zeuge einiger wundervoller Geschichten und Dialoge, die definitiv mehr als eine nette Dreingabe darstellen.


Eigentlich hatte ich mir zu Beginn meiner ersten Gaming-Session fest vorgenommen, möglichst rasant dem Hauptpfad zu folgen, um das Ende von Kratos' und Atreus' Reise vor dem vorprogrammierten Spoiler-Sturm auf YouTube zu erleben. Den vielen Versuchungen der malerischen Welt konnte ich jedoch nicht widerstehen, verlor mich immer wieder in den erzählerischen Unweiten, suchte nach verpassten Kostbarkeiten, versuchte mich an einem geheimen Boss. Kein Wunder also, dass ich schlussendlich bei knapp 60 Stunden angekommen war und weiterhin das Gefühl hatte, noch nicht jeden Winkel ausgiebig erkunden zu haben.



Gefangen zwischen den Konsolengenerationen


Eine spannungsgeladene Handlung, ein entflammendes Kampfsystem, eine mit Geheimnissen angereicherte Spielwelt – God of War Ragnarök liefert mehrere gute Gründe, eins mit dem Controller zu werden und erholsamem Schlaf für einige Tage bewusst zu entsagen. Dabei darf die eigentliche Inszenierung allerdings nicht aus den Augen verloren werden: Erneut geht Santa Monica hier nämlich ambitioniert ans Werk und setzt auf einen Award-verdächtigen One-Shot, der auch ohne den Überraschungseffekt des Vorgängers prächtig funktioniert und insbesondere beim Wechsel zwischen Gameplay und Zwischensequenzen beeindruckt.


Des Weiteren glänzen auch die Charakter- und Monstermodelle sowie die Schauplätze allesamt wieder mit einzigartigen Besonderheiten, die von kreativen Designs über anschauliche Kleinstdetails bis hin zu pittoresken Panoramen reichen und somit ein kunterbuntes (und gelegentlich sogar ebenso bildschirmfüllendes sowie effektreiches) Augenschmaus-Feuerwerk entzündet. Umso beeindruckender, dass sich dieses anmutige Gesamtbild bereits zum Release herrlich aufpoliert präsentierte, ich während meines gesamten Tests nur zwei Mal auffälligen, jedoch rein optischen Bugs begegnete. Traurigerweise ist solch eine Qualitätskontrolle mit Blick auf die in der Videospielindustrie vorherrschende Veröffentlichungspolitik keine Selbstverständlichkeit mehr.


Einziger Wermutstropfen ist die Cross-Generation-Problematik, die Besitzern einer PlayStation 5 besonders unliebsam auffallen wird. Obwohl God of War Ragnarök optisch nämlich zweifelsfrei atemberaubend ausgefallen ist und einige unvergessliche Momente kredenzt, wird die neue Hardware-Power kaum genutzt, kann ganz im Gegenteil nur limitiert eingesetzt werden, damit das Abenteuer auch auf der alten Konsole spielbar und damit einer größeren Gaming-Gemeinschaft zugänglich bleibt. Eine wirtschaftlich betrachtet mehr als sinnvolle Entscheidung, die angesichts des vergebenen Potenzials dann eben doch ein wenig schmerzt.


Gänzlich auf der Strecke bleiben PS5-Freunde natürlich nicht. Habt ihr euch nämlich für diese Fassung entschieden, stehen euch gleich sechs unterschiedliche Grafik-Modi zur Verfügung, wobei ihr entweder die Bildschirmauflösung oder die Framerate bevorzugen könnt. All diese Varianten funktionierten im Test erstklassig und machten vor allem auf dem richtigen Bildschirm – in meinem Fall ein LG OLED – eine verboten gute Figur. Gleichzeitig muss Kratos alle paar Minuten langsam durch eine enge Höhlenöffnung gelotst werden, um etwaige Ladezeiten zu kaschieren. Hier hätte das umjubelte SSD-Laufwerk der PlayStation 5 kleine Wunder vollbringen und solche Momente ausmerzen können. Mit einer parallel an den Start gehenden PS4-Version ist das aber leider nicht möglich.


Es ist schade, dass sich Santa Monica dieser Strategie anpassen musste und den ersten Serien-Ableger für die neue Konsolengeneration nicht direkt mit allen technischen Errungenschaften ausstatten konnte. Somit bleibt der erhoffte Sprung zwar aus, immerhin lässt sich aber ein gewisser Schritt in Richtung Verbesserung erkennen, der in der Zukunft ja vielleicht via Patch oder einem potenziellen Nachfolger nochmals ausgeweitet wird.




Grandiose Sprecherleistungen zum Niederknien


Mittlerweile sollte ich meinen Test beenden, die finalen Zeilen niederschreiben und meinen Finger eine wohlverdiente Pause gönnen. Allerdings möchte ich meine Gedanken zu God of War Ragnarök mit euch teilen, die einzelnen Aspekte des Action-Adventures möglichst ausführlich beleuchten, um der passionierten Detailverliebtheit des Entwicklerteams auf diese Art und Weise zu huldigen. Dementsprechend müssen meinen Schreibinstrumente leider Überstunden schieben, verdient sich die Sound-Kategorie doch einen eigenen Abschnitt dieser Besprechung, darf meiner Meinung nach also nicht einfach mit dem grafischen Part über einen Technik-Kamm geschert werden.


Dieser Umstand ist nicht zuletzt Bear McCrearys gewaltigem Soundtrack zu verdanken. Dieser schließt nahtlos an die einmalige Klasse des Vorgängers an und vermischt bekannte Melodien mit völlig neuen Klängen, wodurch packende Gefechte und dramatische Zwischensequenzen gleichermaßen treffend begleitet und emotional aufgeladen werden. Zwar lässt der amerikanische Komponist hierbei legendäre Einzeltracks im Stile der griechischen God of War-Saga oder auch des „Erstlings“ vermissen (ein Rage of Sparta oder Echoes of an Old Life werden Fans hier also vergeblich suchen), behält dafür im Gegenzug aber die gesamte musikalische Untermalung auf einem einheitlich hohen Niveau.


Wahre Begeisterungsstürme löst jedoch erst die göttliche Sprecherriege aus, die mit ihrer Leistung die Grenzen eines Videospiels problemlos sprengen und dadurch vielmehr das Level einer aufwendigen Hollywoodproduktion erreichen kann. Das unerreichbare Highlight ist hierbei abermals Schauspieler Christopher Judge, der Kratos nicht einfach nur seine Stimme leiht, sondern ihn regelrecht lebt. Jeder Satz, jedes Wort, jedes Knurren sitzt perfekt und erlaubt einen kurzen Blick in die komplexe Gedankenwelt des Spartiaten, die im Laufe des Abenteuers gehörig auf den Kopf gestellt wird – eine Herausforderung, die Judge spielend leicht meistert.


Dahinter braucht sich der restliche Cast allerdings nicht zu verstecken. Ob nun Sonny Suljic als Atreus, Danielle Bisutti als Freya oder (mein persönlicher Favorit) The Walking Dead-Star Ryan Hurst als Thor liefern eine Performance allererster Güte ab, wodurch kein Dialog, kein Nebensatz in irgendeiner Form deplatziert wirkt. Es kommt nicht von ungefähr, dass Santa Monica die Sprecher nicht nur ans Mikrofon gestellt, sondern sie in Motion-Capture-Anzügen auch zum Aufnehmen der Kämpfe und Interaktionen animiert hat. In Kombination mit der grandiosen Haupthandlung wird ein fesselnder Bann heraufbeschworen, dessen unglaublicher Kraft ich mich höchstens für eine kurze Toilettenpause oder dringend benötigten Schlaf entziehen konnte.


Währenddessen kann die deutsche Sprachausgabe hier nicht mithalten und muss sich dem hingebungsvoll zusammengestellten Original chancenlos geschlagen geben. Einen enttäuschenden Totalausfall braucht ihr hier allerdings nicht zu erwarten: Auch die lokalen Synchronstimmen geben sich hörbar viel Mühe und präsentieren Untertitel- und Englisch-Hassern damit keine perfekte, aber immerhin eine solide Alternative, mit der sich God of War Ragnarök ebenfalls genießen lässt. Einzig beim Bass von Kratos' Stimme müssen einige Abstriche hingenommen werden.




Ein würdiger Abschied von Kratos und Atreus


Es kommt enorm selten vor, dass ich so intensiv in eine Spielwelt eintauche, dabei komplett die Zeit aus den Augen verliere und auch im hohen zweistelligen Bereich die Lust verspüre, offene Aufgaben und Herausforderungen aktiv anzugehen. Umso beeindruckender, dass ich mich von God of War Ragnarök zwei Wochen lang kaum lösen und sogar freiwillig einige schlaflose Zockernächte einlegte. Denn obwohl der Ingame-Counter nach Beenden der Haupthandlung bereits bei knapp 30 Stunden lag, wobei den umfangreichen Nebencontent zunächst bewusst ignoriert hatte, beherbergten die neun Welten noch ausreichend Geheimnisse, um mein Abenteuer auf insgesamt 55 Stunden hochzuschrauben.


Endgame-Freunden wird hier keinerlei Raum für Kritik eröffnet. Es warten zuvor unerreichbare Gebiete, weitere (teils unglaublich ergreifende) Nebenquests und optionale Endgegner, die euer spielerisches Können gehörig auf die Probe stellen und bei Gamern mit dünnem Nervenkostüm den einen oder anderen Wutausbruch hervorrufen werden. Santa Monica hat sich viel Mühe gegeben, dass dieser zusätzliche Inhalt nicht einfach nur ins Gesamterlebnis hineingerotzt werden, sondern sich stolz als relevanter Bestandteil des großen Ganzen bezeichnen dürfen.


Mit dem ersten Auftauchen des Abspanns ist das phantasmagorische Storytelling nämlich nicht etwa schlagartig am Ende weitergekommen, sondern wird auch im Anschluss vortrefflich fortgesetzt. Ich treffe auf neue Charaktere, lausche bisher unbekannten Sagen und werde Zeuge weiterer Facetten meines Helden-Trios (in diesem Fall inkludiere ich Mimir in der Aufzählung). Strenggenommen mag es sich dabei gewiss um das Abklappern bereits besuchter Schauplätze, das langwierige Abhaken einer jederzeit einsehbaren Checkliste handeln, der inhaltliche Mehrwert sorgt jedoch für einen mustergültigen Motivationsboost, dessen Wirkungskraft bis zum Einsammeln des letzten Rüstungsteils und dem Ausschalten der verbliebenen Odin-Raben nicht abnimmt.


God of War Ragnarök mag im Vorfeld als sicheres Sequel, als aufgeblähtes DLC-Paket verteufelt (dabei aber erfreulicherweise dennoch mit Bestwertungen versehen) worden sein, das viel lieber die Nähe zum erfolgreichen Erstling sucht als seinen eigenen Pfad zu finden. Dabei unterstreicht Santa Monica frühzeitig, dass ein eigener Pfad überhaupt nicht das Ziel war, sondern das mit dem Vorgänger erschaffene Fundament bewusst genutzt werden sollte, um der von Fans und Journalisten zelebrierten Perfektion an einigen unebenen Ecken und Kanten den finalen Feinschliff zu verpassen. Ein Erlebnis zu erschaffen, dass nicht einfach nur dem altbackenen Größer, besser, epischer-Muster folgt, sondern gemeinsam mit dem ersten Abenteuer einen in sich geschlossenen Ausflug in die nordische Mythologie präsentiert, der in die Videospielgeschichte eingeht. Und das ist dem Team zweifelsfrei gelungen.


Kratos begleitet mich seit über 25 Jahren, servierte mir mit seinem erbitterten Kampf gegen die Götter des Olymps ein denkwürdiges Highlight meiner persönlichen Videospielgeschichte, über das ich in geselliger Runde bis heute noch gerne philosophiere. Niemals hätte ich gedacht, dass Santa Monica dieses Gefühl erneut in mir erwecken, die Serie einerseits neu erfinden, ihren Grundpfeilern zugleich jedoch bis in die letzte Wurzel treubleiben könnte. Nun stehe ich am Ende der nordischen Saga, blicke auf meine virtuellen Abenteuer in Griechenland zurück und kann mir ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Hat sich die Videospielschmiede mit der Fortsetzung selbst übertroffen? Ein solches Fazit wäre eventuell ein wenig zu weit gegriffen. Allerdings bewegt sich God of War Ragnarök – vor allem im Verbund mit dem 2018-Part – unstreitig auf einer Augenhöhe mit der gesamten Franchise-Vergangenheit und führt die Reihe somit zu einem glorreichen (und hoffentlich nur temporären) Abschluss. Lang lebe Kriegsgott Kratos!


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Fazit


Von einer astronomisch hohen Erwartungshaltung seitens der weltweiten Fan- und Gaming-Community ließ sich das Santa Monica Studio spür- und sichtbar nicht aus der Ruhe bringen und liefert mit God of War Ragnarök ein rundum gelungenes Abenteuer ab, das nahtlos an die phänomenale Brillanz des gefeierten Vorgängers anschließt, sich allerdings auch nicht als vollwertiges Sequel bezeichnen darf.


Vielmehr präsentiert sich die Fortsetzung als zweiter Teil eines nordischen Mythologie-Puzzles, dessen Gesamtmotiv nun endlich vollständig erkenn- und in seiner kompletten narrativen Wucht erlebbar ist. Dementsprechend hat der Gameplay-Aspekt nur kleine Entwicklungsschritte gemacht, erinnert mit bekannten Schauplätzen und Angriffen vor allem anfangs sogar eher an einen DLC. Spätestens beim Erkunden offener (und mit etlichen Schätzen befüllter) Gebiete, dem Erfüllen erzählerisch enorm packender Nebenquests und dem Bekämpfen optionaler Endgegner verfliegt dieser Eindruck jedoch gänzlich und zeigt, dass das Entwicklerteam jeglichen Stillstand gezielt vermieden hat.


Sicherlich kann God of War Ragnarök – nicht zuletzt durch die aufgezwungene Rolle eines Cross-Generation-Titels – am spielerischen und technischen Perfektionspotenzial nur kratzen, dieses also nicht gänzlich ausschöpfen. Dennoch glänzt Kratos' und Atreus' Reise durch die neun Welten mit einer unfassbar vielschichtigen sowie emotionalen Geschichte, anschaulichen Bildern, einem göttlichen Soundtrack und filmreifen Schauspieler- und Sprecherleistungen, die euch allesamt spielend leicht in ihren Bann ziehen können. Und durch ein meisterhaftes Ineinandergreifen ein enorm hohes Qualitätsniveau erreichen, das im Videospieljahr 2022 bisher seinesgleichen sucht.


Vielleicht God of War Ragnarök durch den Verzicht auf eine PS4-Fassung einen deutlicheren Sprung nach vorne machen und noch lautere Begeisterungsstürme auslösen können. Doch bereits in dieser Form dürfen sich PlayStation-Anhänger über ein weiteres exklusives Meisterwerk allererster Güte freuen, das der legendären Reihe nicht nur ein weiteres Highlight verpasst, sondern zugleich ein heißer Anwärter für den diesjährigen GOTY-Award ist. Kratos enttäuscht halt nie.

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